Sesam öffne Dich - ich möchte hinaus

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Sesam öffne Dich -
ich möchte hinaus
 
Die Überschrift ist ein Aphorismus des polnischen Autors Stanislaw Jerzy Lec, dem die Menschheit eine Menge unfrisierter Gedanken verdankt. Sie lauten zum Beispiel „Am besten läßt sich in einem Staat die Planwirtschaft praktizieren, der die Sterbetermine seiner Bürger kennt“ oder klingen so: „Autovertreter verkaufen Autos. Versicherungsvertreter verkaufen Versicherungen. Und Volksvertreter?“ Zu den ersten Aphorismen, die ich mir für mein Leben gemerkt habe, gehört der Wunsch, die Schatzkammer wieder zu verlassen, die man durch den Zauberspruch „Sesam öffne dich“ überhaupt erst betreten konnte. Lec wollte vermutlich sagen, daß er gerne das sozialistische Lager verlassen wollte, in das ihn das Leben geführt und das man ihm als Paradies angekündigt hatte, womit ich endlich beim Thema dieser Zeilen bin. Vermutlich denken viele Menschen beim Hören des Wortes „Paradies“ an Südseestrände, wohlig warme Abende, Wellenrauschen, Schmusen mit geliebten Menschen, eisgekühlte Cocktails in den Gläsern und Champagner in Reichweite. Das Paradies - es muß herrlich sein, so meint man. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das Paradies es ist die Hölle, wenn man sich die Natur des Menschen vor Augen hält, der in diesem Paradies leben soll. Wer im Paradies ist, darf nichts machen und nur darauf warten, daß ihm die Trauben in den Mund wachsen. Es steht doch alles bereit, was man sich so wünschen kann. Man hat keinerlei Stress, meint man, während man immer dicker und fauler und zuletzt krank wird. Jetzt darf man immer noch nichts machen, denn man lebt ja im Paradies, in dem niemand wissen kann, was gut und böse ist, in dem ein Mensch bekanntlich alles einer höheren Macht überlassen muß, in der er nichts lernen darf und in dem ihm folglich auch kein Handy zur Verfügung steht. Das Paradies, es muß grausam sein, indem es den Menschen alles nimmt, was ihr Leben auszeichnet und ihm Qualität gibt - Neugierde auf die Welt, Bereitschaft zum kreativen und sportlichen Wettbewerb, gesunder Stress durch dauernde Spannung, ob etwas klappt oder nicht und so weiter. Sesam öffne dich - ich möchte hinaus aus dem vermeintlichen Paradies, das kein Mensch aushält. (Übrigens - wer das nicht glaubt, braucht sich bloß in pauschalen Ferienparadiesen mit organsierten Kinderparadiesen umzusehen und die grimmigen Gesichter der gelangweilten Großen und Kleinen anzuschauen. Sie können wenigstens in Notwehr noch zum Handy greifen.)
 
 
© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.