Handys an den Schulen
Wer durch Innenstädte spaziert oder an einem Bahnhof auf den Zug wartet, kann nicht übersehen, daß die meisten Menschen ihre Umgebung kaum noch direkt wahrnehmen und stattdessen mit abgeknicktem Kopf auf die Displays ihrer Handys starren. Wenn ein Außerirdischer auf diesem Planeten gelandet wäre und dieses Verhalten ansehen könnte, würde er nach Hause melden, daß die Menschen angefangen haben, sich zurückzuentwickeln. Ihren aufrechten Gang hätten sie schon aufgegeben, und mal schauen, was danach kommt. Digitale Demenz, so wird unter Menschen selbst befürchtet. Sie kommt unweigerlich, wie vielschreibende Fachleute die Ergebnisse von zahlreichen Studien meinen zusammenfassen zu können, um anschließend zu empfehlen, Handys an den Schulen zum Beispiel zu verbieten. Freundliche Pädagogen widersprechen zaghaft und schlagen das Gegenteil vor, nämlich den Versuch zu unternehmen, das Handy in den Unterricht zu integrieren, und sie meinen damit, daß die Klasse gemeinsam mit dem Lehrer bei Google zum Beispiel nachschaut, was Galvanotechnik bedeutet. So schön diese Idee daher kommt, sie greift zu kurz. Zwar ist richtig, daß ein Handyverbot an Schulen nur Ungehorsam und Frust mit sich bringt und das Leben für Lehrer und Schüler gleichermaßen mühselig macht. Aber das Gegenteil zu einem Ausschluß ist nicht eine gemeinsame Suche bei Google, sondern die Verlagerung des Handys in die Mitte des Unterrichts. Wenn alle Menschen an diesen Apparaten voller Welt hängen und sie nicht mehr aus der Hand geben, dann muß dies auch daran liegen, daß die damit gelieferte Technik den evolutionär gewordenen Bedürfnissen von Menschen Rechnung trägt, die seit Jahrtausenden beschrieben und bekannt sind. Menschen streben ihrer Natur nach als soziale Wesen nach Wissen, und sie verfügen über ultimative Werkzeuge am Ende ihrer Arme. Gemeint sind die Hände, und mit dem Handy in der Hand können Menschen sowohl ihr liebstes Instrument benutzen als auch sich jetzt mit seiner Hilfe daran machen, was sie immer schon gerne unternommen haben, nämlich zum einen die Welt begreifen - mit den Fingerspitzen und dem Daumen - und zum zweiten Kontakt zu Freunden und anderen Menschen halten. Man kann das Handy nicht verbieten. Man sollte es - im Gegenteil - nutzen, um dem Menschen den Menschen zu erklären. Das eigentliche Studium des Menschen ist der Mensch. Es kann mit dem Handy beginnen.
© Ernst Peter Fischer
Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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