Weihnachtsfrieden gesucht
Ein paar Tage Ruhe in turbulenten Zeiten
Von Lothar Leuschen
Vor fast genau einem Jahr, am Samstag, 24. Dezember 2022, ging es an dieser Stelle um den Weihnachtsfrieden. Es ging darum, daß die Ukraine diesen Weihnachtsfrieden nicht finden würde. Und daran hat sich ein Jahr später nichts geändert. Im Osten Europas tobt immer noch ein Krieg. Auf beiden Seiten beklagen Mütter den Tod ihrer Söhne und Töchter, während sich Rußlands Präsident Wladimir Putin vollends in die Rolle des Autokraten und Kriegstreibers eingefunden hat. Inzwischen droht Putin sogar dem neuen Nato-Mitglied Finnland unverhohlen mit Konsequenzen dafür, daß es seine Grenzen zu Rußland mit Hilfe der Vereinigten Staaten befestigen will. Es brodelt an der Westgrenze der Nato, während der Nahe Osten schon überkocht. Der bestialische Anschlag der Hamas auf Zivilisten in Israel hat einen neuen Krisenherd geschaffen. Die Erzfeinde Israels rüsten auf und scheinen nur darauf zu warten, gegen den einzigen demokratischen Staat in der Region loszuschlagen. Leidtragende sind Tausende von Zivilisten im Gazastreifen, unter denen sich die Terroristen vor der Verfolgung durch Israels Armee verstecken. Das ist die Welt am 23. Dezember 2023. Es herrschen Kriege, und wo die Gewalt noch nicht offen ausgebrochen ist, kann es wie etwa zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie auf dem Balkan allem Anschein nach jederzeit dazu kommen.
Die weltpolitische Gesamtlage erfordert es, dass Deutschland gut 30 Jahre nach der Wiedervereinigung endlich ihre Rolle in der Welt findet und definiert. Mit „feministischer Außenpolitik“ einerseits und Genscher’scher Scheckbuchdiplomatie andererseits bleibt eines der reichsten Länder der Erde Spielball der Supermächte und weit hinter den Aufgaben zurück, die es in der Folge seiner wirtschaftlichen und moralischen Stärke hat. Das ist umso beunruhigender als die aktuelle Regierung nicht den Eindruck erweckt, der Erkenntnis einer tiefschürfenden Zeitenwende die angekündigten Konsequenzen folgen zu lassen. Wie dringend notwendig das ist, zeigen die zahlreichen Krisenherde. Weihnachtsfrieden hat Konjunktur wie selten zuvor. Die Nachfrage ist da, aber das Angebot fehlt.
Der Kommentar erscheint heute, am 23. Dezember in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
|