Berliner Notate

Meckerlust

von Jörg Aufenanger

Jörg Aufenanger - Foto © Jean Pichard
Berliner Notate

Meckerlust
 
Was ist das nur für ein Menschenschlag, für den das höchste Lob,
das er zollen kann, der Satz ist: „Da kann man nicht meckern“.
Dabei würde mancher Berliner dem noch hinzufügen wollen:
„Leider!“
 
Warum aber hat der Berliner eine derartige Meckerlust entwickelt?
Ist er etwa besonders unzufrieden?
Wir befragen dazu mal den bundesweiten Glücksatlas: In der Tat landet in ihm das Land Berlin auf dem drittletzten Platz, weniger glücklich ist man nur im Saarland und in Mecklenburg-Vorpommmern.
Zu erklären wäre das natürlich durch die Tatsache, dass die Mieten in der Stadt extrem hoch sind, man kaum noch eine Wohnung findet, es mehr prekäre Arbeitsplätze gibt als anderenorts. Zudem leben vergleichsweise viele Singles in der Stadt, was häufig zur Folge eine soziale oder mentale Unsicherheit und eine Einsamkeit hat. Ferner hat die Zuwanderung in den letzten Jahrhunderten nicht identitätsstiftend gewirkt, Ghettos entstanden (für Böhmen, Schlesier, Franzosen, Italiener, später für Türken und Araber), die stets zu Abgrenzungen geführt haben und mehrseitiger Unzufriedenheit.

Doch sind es die die sozialen Ursachen, die Berlin zu einer Hauptstadt der Brummbären machen? Oder besitzt der Berliner, ob nun eingeboren oder irgendwann mal zugezogen, ein Mecker-Gen? Ist der Berliner erst dann unglücklich, wenn er nichts findet, worüber er sich echauffieren, meckern kann? Ist Meckern ihm gar ein Lebenselexier?
Schaut man mal in die Meckerecke mancher Berliner Zeitung, seriöser auch Leserbriefseite genannt, dann kann der Meckerer von Berlin sich dort in einem Furor austoben, daß einem aufgrund des Volkzorns Angst und Bange werden kann. Da wird der oft besungene Wutbürger zum aggressiven Meckerbürger. Aber nicht jeder Meckerer wird gleich zum Wähler der AfD. Das wäre zu kurz gedacht. Meckern und Motzen scheint dem Berliner vielmehr zu einem Selbstzweck geworden zu sein.
In London gibt es die Hydeparkcorner, wo Jedermann seine Meinung kundtun kann. Eine Bürgerinitiative soll die Idee aufgebracht haben, in jedem Berliner Bezirk - es gibt deren zwölf mit jeweils der Population einer Großstadt - eine öffentliche Meckercorner einzurichten. Diese sollten von Ordnungsamtmitarbeitern, die, so die aktuellste Meldung von nun an Pfefferspray einsetzen dürfen, kontrolliert werden, damit es nicht wie in Berlin stets möglich zu Schlägereien oder gar Messerstechereien kommt.
Der Berliner Meckerer hat zwar nicht die hohe Ehre erhalten, in die Literatur einzugehen, nur zu dem Buch „Meckern ist wichtig, nett sein kann jeder“ ist es 1950 gekommen. Es stammt von dem Komponisten und Textdichter Robert Gilbert, der unzählige Ohrwürmer geschaffen hat wie: „Ein guter Freund das ist das Schönste, das es gibt auf der Welt“ und „Ich bin ja heut' so glücklich.“ Ein Lied über das Meckern ist mir von ihm indes nicht bekannt. Immerhin gab es 1993 eine dreizehnteilige Fernsehserie mit der Figur des Motzki aus dem Berliner Wedding, gepielt von Jürgen Holtz, einem beliebten Schauspieler des Deutschen Theater und des Berliner Ensemble.
Motzki hatte die Berliner Gabe, über alles und ohne Punkt und Komma meckern zu können zur Lebensdevise erhoben.
 
© 2024 Jörg Aufenanger