Leben und Sterben
Als im Jahre 1922 Soziologen der in New York angesiedelten Columbia Universität sich über ökonomische Daten beugten, die in den USA in den fünfzig Jahren davor erhoben worden waren, da wollten sie mit ihrer Aufstellung eigentlich den Nachweis führen, daß in den Jahren, in denen die Wirtschaft stagnierte, mehr Todesfälle zu registrieren waren als in den Jahren, in denen die Ökonomie boomte. Tatsächlich zeigten die gesammelten Informationen das Gegenteil. Im Verlauf einer Rezession starben weniger Menschen - Kleinkinder eingeschlossen - als während einer Wirtschaftsblüte. Man wunderte sich, vor allem, nachdem weiteres Sammeln von Daten zu Ergebnissen führte, die in dieselbe Richtung zeigten, und dieses Verwundern nahm weiter zu, als Jahrzehnte später die Veränderung der Sterblichkeit untersucht wurde, die mit der Großen Depression einherging, unter der die USA in den 1930er Jahren zu leiden hatte. In dem Magazin „Nature“ (Ausgabe vom 24. Januar 2019, Seite 412-414) stehen daher Überlegungen, „How the next recession could saves lives“, auch wenn das zynisch klingt. Tatsächlich konnten die absonderlichen Daten auch für Europa bestätigt werden, als ein Ökonom der Drexel Universität in Philadelphia sich die Mühe machte, die Folgen der globalen Finanzkrise um das Jahr 2008 herum in Hinblick auf die Sterberate zu untersuchen und feststellen mußte, daß auch dabei die Sterberate gesunken ist. Die Evidenz ist eindeutig - Rauchen erhöht und eine Rezession senkt die Sterberate, und nun ist guter Rat teuer. Ein Fachmann für das, was die Amerikaner „Public Health“ nennen, hat die Frage gestellt, ob man jetzt ökonomische Abschwünge bestellen oder Finanzkrisen herbeireden soll, um Leben zu retten, aber wenn das auch nicht zu ernst genommen werden soll - ein Problem tut sich hier dennoch auf. Natürlich betreffen alle genannten Zahlen große Gruppen, sie geben statistische Auskünfte, und die einzelnen Menschen, auf die es ankommt, fallen dabei allzu leicht heraus. Wer weiter Kritik üben möchte, kann erwähnen, daß die nur in westlichen Gesellschaften Daten nicht trennen zwischen Menschen, die sich in den USA „health care“ erlauben können, und solchen, die auf sich gestellt bleiben. Es bleibt ein Rätsel, daß ein individueller Jobverlust das Sterberisiko erhöht, während eine Rezession die Gesundheit der Gesamtbevölkerung zu verbessern scheint.
© Ernst Peter Fischer
Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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