Folklore in Den Haag

Der Internationale Gerichtshof maßregelt Israel

von Lothar Leuschen​

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Folklore in Den Haag
 
Gerichtshof in Den Haag maßregelt Israel
 
Von Lothar Leuschen
 
Nach unzähligen Resolutionen im Weltsicherheitsrat gegen Israel hat der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen am Freitag sein Urteil gefällt. Es besagt, daß Israel seine Kampfhandlungen im Gazastreifen rücksichtsvoller führen muß. Damit gaben die Richter der Klage Südafrikas auf ein Ende der Kampfhandlung im Eilverfahren nicht ganz recht. Vom Einspruch Südafrikas weiß im Übrigen niemand so recht, ob er wirklich vom Kampf gegen Apartheid gespeist gewesen ist oder vom Versuch der von China geführten BRICS-Staaten, Öl ins Nahost-Feuer zu gießen. Denn je länger Israels Feldzug in Folge des Terroranschlags vom 7. Oktober dauert, desto länger ist die außenpolitische Aufmerksamkeit der USA auf den Konflikt gelenkt. Da kann Eskalation von Vorteil sein.
 
Wie auch immer. Das Urteil wird ohnehin keine unmittelbaren Folgen haben. Israels Präsident Benjamin Netanjahu kann es sich innenpolitisch nicht leisten, vom Kampf gegen die Hamas-Terroristen abzurücken. Rechte Kräfte in seiner Regierung könnten ihm andernfalls den Rücken kehren. Und außenpolitisch gibt es aus Sicht Israels im Grunde auch keine Alternative dazu, die Situation für den Versuch zu nutzen, das Thema Hamas endgültig zu erledigen. Stellt Israels Militär die Kämpfe ein, gibt das der Terrororganisation Gelegenheit, sich zu erholen und neue Strukturen aufzubauen. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es zum nächsten Anschlag kommt. Das wissen auch alle am Prozeß in Den Haag Beteiligten. Deshalb ist das Verfahren letztlich mehr ein Akt der Folklore und der Selbstvergewisserung darüber, daß die Menschenrechte unter keinen Umständen außer Acht gelassen werden dürfen.
 
Umso ernüchternder ist, daß der Gerichtshof das Leiden der Opfer vor allem im Gazastreifen mit seinem Urteil nicht beenden kann. Das kann letztlich nur die internationale Politik. Sie muß im Nahen Osten eine Stabilität erzeugen, die einen Staat für die Palästinenser ermöglicht. Das geschieht nur, wenn China, Rußland und Iran ihre Politik von Destruktion auf Konstruktion umstellen und Israel eine gemäßigtere Regierung hat.
 
 
Der Kommentar erschien am 27. Januar in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.