Egal, wer unter mir Chef ist

Das offene Wort

von Lothar Leuschen​

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Dieser Kommentar ist zwar auf Wuppertal lokalbezogen, trifft jedoch 
punktgenau den wiehernden Amtsschimmel aller deutscher Kommunen.

Egal, wer unter mir Chef ist
 
Das offene Wort
 
Von Lothar Leuschen
 
Keine Flammen, kein Rauch, aber es brennt in Elberfelds Innenstadt. Die Dauerbaustelle für die Fernwärmeleitung konkurriert mit dem Denkmalschutz, drumherum wächst der Leerstand, Einzelhändler wie Passanten beklagen, daß der aktuelle Zustand mit einer angemessenen Innenstadt nichts mehr zu tun hat. Das ist schlecht und angesichts der Tatsache ernüchternd, daß es SPD und CDU im Stadtrat mit vereinten Kräften vor gar nicht allzu langer Zeit gelungen ist, daß Wuppertal sich zu seinem Hauptzentrum Elberfeld bekennt – weil dort der Hauptbahnhof ist, weil dort der Döppersberg ist, der daraufhin stattlich hergerichtet wurde. Knapp zehn Jahre ist dessen Fertigstellung her, doch der Hoffnung ist Ernüchterung gefolgt. Und die erlebt in diesen Monaten fast täglich einen neuen Höhepunkt – vor allem der Dauerbaustelle wegen. Deshalb war es absolut richtig, daß Oberbürgermeister Uwe Schneidewind jüngst auf den Tisch gehauen hat. Auf sein Betreiben hin entstand eine „Pragmatismus-Vereinbarung“, die manches einfacher, vor allem aber alles schneller machen soll. Das tut not, denn unter dem Ausnahmezustand leiden nicht nur die Einzelhändler, weil deren Kunden ausbleiben. Es leiden auch die Wuppertaler Stadtwerke, die ihre Mehrkosten mittlerweile in Millionen rechnen können. Also alles gut? Mitnichten.

Alle Beteiligten haben die Rechnung wieder einmal ohne den Amtsschimmel gemacht. Der kommt selten im Galopp daher, meistens dagegen im Gewand des sturen Esels. Oder er ist zuständiger Beigeordneter im Verwaltungsvorstand der Stadt. In diesen Tagen hat eine Nachfrage zum Stand der Dinge ergeben, daß in Beschleunigungsfragen offenbar noch Klärungsbedarf besteht. Den zu decken, gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine sieht vor, daß zur Erledigung des ausdrücklichen Auftrages des Oberbürgermeisters alle Hebel in Bewegung und Prioritäten gesetzt werden. Die andere heißt Frank Meyer und ist der für Baufragen zuständige Dezernent. Das Thema ließe sich auch auf Verkehrsfragen ausdehnen. Selbe Zuständigkeit, selbes Ergebnis, nämlich keins.

Zurück zum Baustellen-Pragmatismus. Zitat Meyer: „Diese Vereinbarung muß jetzt durch umfangreiche Abstimmungen der Akteure in die Praxis der Bauabläufe überführt werden.“ Übersetzt heißt das: „Macht mal langsam mit den jungen Pferden.“ Meyer sagt das allerdings geschliffener: „Das ist eine komplexe Aufgabe, die oberste Priorität hat. Sie kann aber auch nicht übers Knie gebrochen werden.“

Da steht es wieder, das Mensch gewordene Stopschild. Und alle, die auf Besserung, vor allem auf Beschleunigung hofften, sind düpiert. Grundsätzlich ist es natürlich richtig, daß niemand, auch ein Oberbürgermeister nicht, an Recht und Ordnung vorbei kommt. Aber bei der Bewertung des möglichen Handelns gibt es immer zwei Wege: Der eine beschreibt das bürokratische Bremsen im Wunsch, bloß nichts falsch zu machen, keine Verantwortung zu übernehmen und das Heft des Handelns fest in der Hand zu halten. Der andere ist möglich machen, Dienst leisten im Sinne dessen, der etwas bewegen will. In diesem Fall sind das vor allem Oberbürgermeister Uwe Schneidewind, die Stadtwerke, die Einzelhändler und auch die wichtigen Parteien im Stadtrat.

Allein, es hilft nichts, wenn in Behörden Menschen sitzen, die stoisch Desinteresse darüber dokumentieren, wer unter ihnen Chef ist. Es hilft auch deshalb nicht, weil wieder einmal der Eindruck entsteht, daß die Verwaltung nicht für die Bürgerinnen und Bürger da ist, sondern für sich selbst. Aber am schlimmsten ist, daß in dieser Stadt einfach nichts mehr vorangeht.
 
 
Der Kommentar erschien am 27. Januar in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.