Zeichen setzen
Als ich zur Schule ging, machten mir die Regeln der Zeichensetzung ziemlich viel Mühe. Wann stand vor einem Infinitiv ein Komma und wann nicht. „Es ist gut, zu lernen.“ Oder: „Es ist gut zu lernen.“ Und was ist bei: „Es ist gut, viel zu lernen“? Während man so wehmütig mancher schlechten Note im Diktat der Vergangenheit nachtrauert, bemerkt man im Internet der Gegenwart einen eher schludrigen Umgang mit der Zeichensetzung, was die Frage aufwirft, ob die digitale Kommunikation die Interpunktion kaputt macht. Im Gegenteil! So meint der aus Athen stammende und in Hamburg tätige Medienlinguist - ja, das gibt es - Jannis Androutsopoulos, der zu diesem Zweck mit seinem Doktoranden Florian Busch 10.000 Nachrichten untersucht hat (wie die Süddeutsche Zeitung am 25. März 2019 berichtet, die den Wissenschaftler eigens interviewt hat). Die grundsätzliche Ansicht von Jannis Androutsopoulos lautet, „Die Zeichensetzung verkümmert keineswegs“, sie erweitert sich im Gegenteil sogar, und das heißt, „neue, ungeschriebene Regeln entstehen.“ Man kann zum Beispiel nicht mehr nur ein Ausrufezeichen setzen, wie unsereiner es durfte und machte, um keinen roten Korrekturstrich des Deutschlehrers am Heftrand zu finden. Man kann sich expressiv äußern und seiner Freude Ausdruck verleihen: Oh, ja!!! Ausrufezeichen drücken dabei keine Wut, dafür aber gerne eine Aufregung aus. Dafür kennt der Medienlinguist sogar ein ungewöhnliches Aufregungszeichen, nämlich !!!!!111!!1! Man muß das nicht toll finden, kann aber einmal über den berühmten Punkt nachdenken, der inzwischen am Ende von vielen Sätzen eingespart wird, um durch das Wort „Punkt“ ersetzt zu werden, mit dem der Schreiber oder die Schreiberin hinweisen will, worauf er oder sie besteht. Drei Punkte darf man noch setzen, was auch häufig geschieht, um die Leserin und den Leser zu veranlassen, einen Gedanken weiterzuführen. Der Medienlinguist meint, man könne die Auslassungspunkte dehnen und zum Beispiel acht von ihnen einsetzen, um anzugeben, meine Überlegung ist sehr wichtig ........ Also - auf jeden Fall bleibt die alte Funktion der Satzzeichen erhalten, um komplexe Sätze zu strukturieren, während die neuen Freiheiten neben dem Ordnungssinn der Schreibenden zugleich Raum für Kreativität schafft. Wenn das nur keine neue Babylonische Sprachverwirrung gibt. Man kann ja immer noch auf Emojis zurückgreifen. Auch damit kann man heute Zeichen setzen. Nur welche?
© Ernst Peter Fischer
Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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