Richtige Idee, falsche Zeit

Wirtschaft: Trübe Aussichten für Deutschland

von Lothar Leuschen​

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Richtige Idee, falsche Zeit
 
Wirtschaft: Trübe Aussichten für Deutschland
 
Von Lothar Leuschen
 
Mitleid ist das Schlimmste, was einem Politiker widerfahren kann. Und an diesem Punkt ist Robert Habeck nun. Jüngst kam der Bundeswirtschaftsminister zu der Erkenntnis, daß die deutsche Wirtschaft sich dramatisch schlecht entwickele. Es paßt zum Menschen Habeck, daß er diese Nachricht offen und ehrlich ausspricht. Für den Politiker Habeck kommt diese Aussage einem Offenbarungseid gleich. Knapp anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl räumt der Wirtschaftsminister und Vizekanzler ein, daß er gescheitert ist. Das nun prognostizierte Wachstum von nur noch 0,2 Prozent läßt keinen anderen Schluß zu.
 
Wie immer wäre es ein leichtes, die Schuld an der Misere allein der Bundesregierung und deren Fachminister in die Schuhe zu schieben. Aber die sogenannte Ampel führt Deutschland immer noch aus den Spätfolgen einer Pandemie, ist von einem Krieg mitten in Europa betroffen. Außerdem ist Deutschland nicht allein auf der Welt. Konflikte zwischen den Machtzentren in Washington und Peking, Eigeninteressen von aufstrebenden Staaten wie Indien und Brasilien, stete Unruheherde in Afrika haben immer auch etwas mit Deutschland zu tun. Und keine Bundesregierung ist global stark genug, die Dinge allein im Sinne der deutschen Wirtschaft zu beeinflussen.
 
Dennoch hat die Berliner Ampel einen Anteil an der Talfahrt der deutschen Wirtschaft. Und dabei spielt der stete Zwist zwischen den Koalitionspartnern noch nicht einmal die Hauptrolle. Vorzuwerfen ist dem Dreierbündnis, daß es offenbar nicht in der Lage ist, auf die sich dramatisch verändernde Lage zu reagieren. Die SPD baut vielmehr weiter den Sozialstaat aus, die FDP beharrt auf ihrer restriktiven Finanzpolitik und die Grünen treiben die ökologische Transformation voran – alles ohne Rücksicht auf Verluste, alles, als gäbe es keine Warnungen von Unternehmenslenkern und Wirtschaftsexperten. Deshalb werden viele Beobachter und Betroffene zur Erkenntnis von Robert Habeck nur noch mitleidig den Kopf schütteln. Dabei sind dessen Ideen für die Wirtschaft der Zukunft sicher richtig, aber der Zeitpunkt, sie umzusetzen, ist falsch.
 
 
Der Kommentar erschien am 16. Februar in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.