Wolken am Himmel der Wissenschaft

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Wolken am Himmel der Wissenschaft
 
Im Jahre 1900 hat der große englische Physiker Lord Kelvin eine Rede über den Zustand seiner Wissenschaft gehalten und davon gesprochen, daß am strahlend blauen Himmel seiner Disziplin nur zwei kleine Wölkchen das Glück der Vollkommenheit trübten. Lord Kelvin zeigte sich zuversichtlich, daß sie bald verschwinden würden, und er konnte nicht wissen, daß das Gegenteil eintreten und die beiden Wolken riesengroß werden und bald den ganzen Himmel bedecken sollten. Sie heißen heute Relativitätstheorie und Quantenmechanik und erklären das Größte und das Kleinste in der Welt, also den Kosmos und seine Raumzeit und die Atome und ihre Bausteine. Man sollte meinen, daß die Physiker mehr als einhundert Jahre später die Lektion von Lord Kelvin gelernt haben und sich nicht mehr dazu hergeben, von einem strahlend blauen Himmel zu sprechen, unter dem ihre Wissenschaft vom Licht der Vernunft beleuchtet wird, aber einige von ihnen tun es trotzdem. Sie sprechen von einem Standardmodell der Physik, in dem bis vor kurzem noch ein Beitrag fehlte, den man aber inzwischen mit dem berühmten Higgs Teilchen liefern konnte - wenn man den offiziellen Verlautbarungen der Fachwelt glauben will. Das Wort Standardmodell klingt verführerisch und suggeriert der Öffentlichkeit, man habe ein fundamentales Verstehen der physikalischen Wirklichkeit, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Tatsächlich widersprechen sich die beiden oben genannten Grundlagen der Physik, die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, weil eine von einer kontinuierlichen Welt voller Schwerefelder handelt, und die zweite unentwegt Quantensprünge einführen muß, um den Atomen zu ihrer Existenz zu verhelfen und ihnen das Aussenden von Licht zu ermöglichen. Wer diese Gegensätzlichkeit akzeptiert, wird sich nicht wundern, wenn der Himmel, den man seit vielen Tausend Jahren beobachtet und mit Fernrohren durchmustert hat, plötzlich etwas zeigt, daß man noch gar nicht gesehen hat. Die Kosmologen sprechen von einer Dunkelenergie und einer Dunkelmaterie, die den Raum ausfüllen sollen und denen sie hilflos gegenüberstehen. So hilflos, daß sie nicht einmal merken, wie falsch die Wörter sind, die sie benutzen. Wenn man etwas nicht sehen kann, dann kann das nicht dunkel sein. Schwarze Körper sieht man doch.
 
 
© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.