Kafkas Gespenster
Man wird Schwierigkeiten haben, Zeitgenossen zu finden, die an Gespenster glauben - außer an die entsprechenden Gestalten, die in den Märchen für die Kinder auftreten - und die jeden Gedanken an Magie in der Welt der kommunikativen Vernetzung, an der sie mitstricken, von sich weisen. Aber Vorsicht! Als Steve Jobs im Jahre 2007 das erste iPhone vorstellte, sprach er ausdrücklich davon, daß die Touchscreen wie Magie funktioniere, und wer kann schon erklären, was seine Fingerspitzen auslösen, wenn sie das geliebte Gerät streicheln. Es soll hier aber nicht um das Glücksgefühl von Handyhaltern gehen, sondern um seltsame Gedanken, die der Dichter Franz Kafka bereits in den 1920er Jahren geäußert hat, als den Menschen nur die Funktelegraphie und das Telefon als Informationstechnologien zur Verfügung standen. Kafka meinte zum einen, daß die kommunikativen Apparate, deren Funktionieren ihm wie den meisten Zeitgenossen verborgen blieb, voller Gespenster steckten, die austrinken, was die Menschen ihnen anvertrauen. Und Kafka meinte zum zweiten, daß die genannten Medien die Menschen nicht zusammenführten, sondern im Gegenteil eher weiter voneinander entfernten, denn „die Geister werden nicht verhungern, aber wir werden zugrunde gehen“, wie der Dichter seine Erfahrungen und Ahnungen zusammenfaßte, die man heute leicht beobachten kann, wenn Handynutzer sich in einer Runde mit allem Möglichen beschäftigen und sich selbst den blödsinnigsten Katzenvideos zuwenden, nur nicht den Menschen, die neben ihnen sitzen oder stehen. Sie verhungern auf jeden Fall eher als Kafkas Gespenster, auf die in diesen Tagen (im Herbst 2019) auch Edward Snowden, der im russischen Exil lebende ehemalige Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes CIA, in seinem Lebensbericht „Permanent Record“ hinweist, wenn er seine Leser daran erinnert, daß längst in der Mitte all der sozialen Verbindungen, die man per iPhone im Internet stricken kann, Mitarbeiter des amerikanischen Ausspähdienstes NSA alles mit hören und mitlesen, was die Menschen am Handy preisgeben, so wie Kafka es geahnt hat. Wer einmal meinte, die neuen medialen Möglichkeiten und das jederzeit erreichbare Internet mit dem Wikipedia Wissen hätten einen neuen Geist der Aufklärung ins Land gebracht, sieht seine Hoffnung jämmerlich gescheitert. Das Gegenteil ist der Fall. Es wimmelt nur so von Gespenstern, leider nicht nur in den Märchen, sondern mitten im Leben.
© Ernst Peter Fischer
Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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