Ein Haufen gewalttätiger Verrückter

Christoph Geisselhart - "Maximum Rock - The Who"

von Eugen Egner

© Hannibal Verlag
Fender Stratocaster
aus stabverleimtem Holz?
 

Es war in der Tat höchste Zeit für eine umfassende Biographie der britischen Band The Who in deutscher Sprache. Der bildende Künstler und Autor Christoph Geisselhart (Jahrgang 1963), ist der vom Schicksal Auserwählte, der sich dieser Riesenaufgabe gestellt hat, auf daß sie endlich gelöst werde. Um das vorliegende Ergebnis, den ersten Band der Who-Historie zu beurteilen, muß man unterscheiden: zwischen der Leistung des Autors und der des Verlags. Zunächst die gute Nachricht: Christoph Geisselhart hat die Herausforderung trotz seiner späten Geburt bravourös gemeistert. Mit deutlicher Liebe zur Sache referiert er die irrwitzige Geschichte dieser wirklich sehr besonderen Musikgruppe durchweg anschaulich und spannend, die Lektüre wird niemals auch nur ansatzweise langweilig. Das Erzähltempo ist gut gewählt, weder gehetzt noch, trotz erfreulicher Detailvielfalt, behäbig. Daß der Ton hier und da ein wenig salbungsvoll gerät und den Kitsch streift, scheint mir verzeihlich.

Wie es sich gehört, wird nicht allein der Werdegang der Band samt ausführlicher Vorgeschichte nachgezeichnet, sondern ebenso die persönliche und künstlerische Entwicklung eines jeden Mitglieds. Die vier sehr unterschiedlichen Charaktere, insbesondere der schlimme Keith Moon, treten recht plastisch vors sogenannte geistige Auge der Leserschaft (das ist auch notwendig, denn der Bildteil muß eher kümmerlich genannt werden). Auf den mehr als 500 Seiten des Buchs tun sich Abgründe auf, es werden tiefe und aufschlußreiche Einblicke gewährt sowohl in die Schaffensprozesse als auch in die nicht eben unkomplizierten Seelenvorgänge der Herren Townshend, Daltrey, Entwistle und Moon. Sich an den Kopf greifend, erfährt man, so man es nicht schon wußte, welch ein Haufen gewalttätiger Verrückter The Who, mit Ausnahme von John Entwistle, sowohl auf der Bühne als auch im Privatleben waren, bis mit der „Tommy“- Phase eine Läuterung eintrat (nicht jedoch bei Keith Moon). Zudem wird einem plötzlich klar, wie viele entscheidende Innovationen auf ihr Konto gehen und was man versäumt hat, wenn man (wie ich) nicht in den Genuß gekommen ist, sie während ihrer guten Jahre live zu erleben. Apropos Musik: Die spezifisch musikalischen Einlassungen des Autors fallen qualitativ etwas ab, es liegt auf der Hand, daß er nicht „vom Bau“ ist. Hier hätte er stärkerer Unterstützung durch selbst praktizierende Kenner der Rockmusik bedurft. Was er etwa zu einzelnen Musiktiteln anmerkt, ist manchmal etwas dünn, aber auch kein Beinbruch.
 
Ohne zu zögern schließe ich mich dem Werbetext für dieses Buch an: „Beinahe romanhaft und mit vielen sorgfältig recherchierten Details und Originalzitaten entsteht das Profil einer Rockgruppe, die gesellschaftliche Strömungen visionär erahnte und in ihrer Musik zu sehr persönlichen, zeitlosen und kraftvollen Statements umformte.“ Der vorliegende erste Band endet mit dem Album „Who’s next“, also an dem Punkt, an dem auch für etliche Hörer das Interesse an der Musik der Gruppe endet. Für Fans ist Christoph Geisselharts Standardwerk ein schieres Muß, und wer sich bisher bei aller Wertschätzung nicht übermäßig für The Who interessiert hat (wie etwa ich), kann durch die Leistung des Biographen zum Fan werden.
 
„Maximum Rock“ hätte perfekt werden können, diese Chance ist jedoch vertan worden, und damit komme ich zur Leistung des Verlags. So, wie sich der gedruckte Text darbietet, offenbart er, daß der Autor in stilistischer Hinsicht nicht unbedingt sattelfest ist. Das ist an sich überhaupt nicht schlimm, tut seinen Verdiensten insgesamt keinen Abbruch, und das Publikum müßte davon auch gar nichts erfahren - schlimm ist vielmehr, daß sich kein kompetentes Lektorat ausreichend darum gekümmert hat, Schwächen im Text zu beheben und Fehler zu korrigieren. Im Vorwort richtet der treuherzige Autor seinen herzlichen Dank „an meinen aufmerksamen Lektor Manfred Gillig-Degrave, ohne den dieses Buch nicht in der vorliegenden Güte und Breite veröffentlicht worden wäre.“ Folglich sind also dem dankenswert aufmerksamen Lektor so schöne Blüten zu verdanken wie: „In seinem Ideal sah es wohl so aus, daß man...“, „Die Mutter und der Vater und die Familie und alle kotzt es an“, „ging der Versuch unter wie ein Bleichgewicht“, „...duldete in dieser Hinsicht kein Pardon“, „psychische Drogen“ und „vier Uhr mittags“. Respekt! Und das war erst der Anfang. Der Formulierung „seinetwegen“ wird grundsätzlich „wegen ihm“ vorgezogen, da kann man dann auch ruhig schreiben: „verwandelten sich zu“, „im Vergleich zu“ und „Entgegen seines Rufs“ (aber: „wegen einem gebrochenen Fußgelenk“). Des weiteren wird  hartnäckig „das gleiche“ und „dasselbe“ verwechselt und „einfach“ mit „leicht“. Statt „stimmliche Dürftigkeit“ heißt es in Bezug auf Keith Moons mangelhafte Singstimme „stimmliche Bedürftigkeit“. Und als ausführlich vom Thema Konzeptalbum die Rede ist, steht da zu lesen: Tommy „war das erste echte Konzertalbum“. Das reicht, meinen Sie?

Es ist aber noch lange nicht alles. Artikel werden auch durcheinandergebracht: „Obwohl The Who der Verdienst gebührt...“, „...hob The Who aufs Schild einer Bewegung“ und zum Ausgleich: „um jeglichen Pathos, den die Rockoper womöglich hinterlassen hatte“. Selbstverständlich findet sich auf diesen Seiten ebenfalls die falsche Verwendung von „nichts weniger als“, das darf heute nirgends fehlen. Fremdwörter sind aber auch so eine Sache, so wird etwa im Zusammenhang mit Townshends Frühzeit-Kifferei sein „larmoyantes Schweben und Träumen“ erwähnt, während es nicht den geringsten Hinweis auf irgendeine Weinerlich- oder Rührseligkeit bei ihm in diesem Zusammenhang gibt. Man hat schlicht nicht gewußt, was larmoyant bedeutet und wollte gewiß etwas ganz anderes zum Ausdruck bringen. In diese Abteilung gehört auch der Neologismus „domän“ in Bezug auf ein Hotel. Gemeint war wohl ein mondänes Hotel. Noch ein Beispiel: „Er quält den behinderten, wehrlosen Jungen (...) mit faschistischer Neugier“ – „sadistisch“, „faschistisch“ – klingt doch alles gleich... Die Anschaffung eines Fremdwörterbuchs könnte von Vorteil sein!

Was reine Tippfehler betrifft, so kommen auf hundert Seiten durchschnittlich knapp zehn. Dazu gesellen sich noch ein paar fachliche Unkorrektheiten: Steve Mariott war nicht nur der Sänger der Small Faces, sondern gleichzeitig auch deren Gitarrist, während Phil May mitnichten Sänger und Gitarrist, sondern ausschließlich der Sänger der Pretty Things ist. Besonders delikat ist die Information, Hals und Korpus der Fender Stratocaster-Gitarre seien aus stabverleimtem Holz gefertigt worden (S. 326). Das aber war gottlob zu keiner Zeit der Fall, und dafür wollen wir dankbar sein, besonders hinsichtlich des Halses. So viel also zum aufmerksamen Lektorat. Eine dermaßen ärgerliche Häufung von Fehlern in einem Erzeugnis aus dem Hause Hannibal begegnet dem Lesepublikum leider nicht zum ersten Mal. Ich persönlich habe an dieser Stelle bereits bei der Besprechung der Pink Floyd-Bandbiographie die Existenz eines Lektorats angezweifelt. Da ich bei der Besprechung der Bücher dieses Verlags sowieso immer den Deutschlehrer wider Willen spielen muß, biete ich hiermit offiziell meine – hoffentlich angemessen bezahlten – Dienste an.
 
 
Christoph Geisselhart:  Maximum Rock – The Who - Die Geschichte der verrücktesten Rockband der Welt - Band 1
© 2008 Hannibal-Verlag - 528 Seiten, geb., m. Schutzumschlag, 24,90 €
Weitere Informationen unter: www.hannibal-verlag.de