Sex mit der Nachbarin
Es gab mal eine Zeit, da dachte ich, um ein erfolgreicher Autor zu sein, müsse man ein guter Autor sein. Ich war damals sieben Jahre alt. Um ein Buch, das man schrieb, zu einem Best- oder zumindest zu einem Ich-kann-meine-Miete-davon-zahlen-Seller zu machen, bedarf es einiger Anstrengung. Keine Angst, nicht beim Schreiben, sondern davor und danach.
Der Titel. Alles entscheidend ist der Titel. Darauf muß man vor der Publikation einige Gedanken verschwenden. Grundsatz: Das Buch soll sich verkaufen lassen. Scheuen Sie sich also nicht davor, eine Abhandlung über thomistische Neoscholastik „1000 nackte Weiber“ zu nennen. Oder wenigstens „Harry Potter und die thomistische Neoscholastik“. Ein Buch über Mathematik, wie sie in der neunten Klasse an nordrhein-westfälischen Gymnasien gelehrt wird, findet unter „Ninas neues Nippelpiercing“ auch mehr Beachtung als unter „Lehrbuch der Mathematik für die Klassenstufe neun“. Zielgruppenspezifikation. Schon mal darüber nachgedacht, warum vor, nach und wenn’s so weiter geht auch während eines Fußballspiels für Bier und Autos geworben wird? Und vor Sendungen mit George Clooney für Trommelkurse und Eierlikör? Eben! – Zielgruppenspezifikation ist auch bei Büchern wichtig. „Harry Potter und das Geheimnis der Arbeitsagentur“ für den Osten, für den Westen – „Harry Potter und das rätselhafte Ferienhaus auf Sylt“. Frauen: „Harry Potter will nur reden“, Männer: „Harry Potter und die blonde Brauereibesitzerin mit dem Sky-Abo“. Jetzt sind Sie dran! Klau, aber schlau. Plagiate sind der Renner. Haben Sie Mut, sich des Verstandes anderer Leute zu bedienen! Nur müssen Sie aufpassen, daß die Sache nicht auffällt und wenn sie auffällt, daß sie nicht justiziabel ist. Letzteres sagt Ihnen der Anwalt des Ullstein-Verlags, ersteres sage ich Ihnen: Wechseln Sie einfach Schlüsselbegriffe aus, deren Verwendung verräterisch wäre. Anregungen finden Sie bei Gleichstellungsbeauftragen, politischen Beratern und Absolventen des Bacholor-Studiengangs „Euphemistic Studies“ (Gibt’s nicht? Geduld!). Beispiel: Eine dramatische Schlüsselszene in einer Berliner U-Bahn wird in der Textvorlage eingeleitet mit: „,Ey, bist du behindert?!’, sagte der junge Mann mit dem dunklen Teint und der Schnellfeuerwaffe. ,Willst du Krieg, oder was?!’“ (Ja, liebe Berliner, das ist Alltag, ich weiß. Aber hier klingt das „dramatisch“!) Bei Ihnen steht dann: „,Ey, bist du leistungsgewandelt?!’, sagte der junge Mann mit dem dunklen Teint und der Schnellfeuerwaffe. ,Willst du die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln/indirekte Subventionen für Rheinmetall/eine bewaffnete Auseinandersetzung, bei der es unvermeidlich ist, daß auch mal deutsche Soldaten betroffen sind – damit müssen wir leben, wenn wir unserer Verantwortung in der Welt auch und gerade..., oder was?!’“ So, und da soll Ihnen mal jemand einen Strick draus drehen! Eine lohnenswerte Alternative: Das E-Book. Besondere Bedingungen gelten für Online-Texte. Wer heute im Internet, also „online“, ankommen will, der muß den Text suchmaschinenoptimieren, um reich und berühmt zu werden. Suchmaschinenoptimiert ist ein Text dann, wenn er bei der Abfrage oft in Suchmaschinen gesuchter Begriffe gefunden wird und in der Trefferliste „optimal“, also möglichst weit oben, platziert ist. Häufig gesuchte Begriffe sind: „Sex“, „Steuern sparen“, „George Clooney“, „Georg Cloony“, „Gregor Clouny“, „Karten für’s Pokalendspiel – NICHT Bayern-Fanblock!“, „Schäferhund“, „Hundetraining“, „Paris Hilton“, „Paris Hilton nackt“ und „Steuer-CD – was muß ich jetzt beachten?“. Mit signifikant großem Abstand am häufigsten gesucht wird „Sex mit der Nachbarin“. Wenn Sie also einen Text zum Thema „Martin Heideggers Metaphysik fundamentalontologischer Hermeneutik“ schreiben, dann kommt es eben Sex darauf an, an geeigneten Hundetraining Stellen diese Begriffe möglichst Paris Hilton nackt unauffällig einzuarbeiten, damit der Hundetraining Lesefluß erhalten Steuern sparen bleibt, denn: Steuer-CD – was muß ich jetzt beachten? Der Leser soll ja nicht merken, daß der Artikel nur Hundetraining geschrieben wurde, damit Paris Hilton er angeklickt wird, um Sex die Zugriffsraten Hundetraining zu erhöhen, damit man die neben den Text Sex platzierte Werbung Steuern sparen möglichst preisoptimiert verkaufen kann. Paris Hilton nackt. Was dachten Sie denn, warum im Internet soviel geschrieben wird? Um der Welt etwa mitzuteilen, daß Martin Heidegger den Durchblick durch die Metaphysik fundamentalontologischer Hermeneutik hatte? Oder Sex mit der Nachbarin? So naiv ist doch noch nicht mal der Schäferhund von Paris Hilton! Oder Gregor Clouny. Was können Sie sonst noch für sich tun? Selbstverständlich müssen Sie sich für eine breite Öffentlichkeit interessant machen. Wenn Sie nicht an einer unheilbaren Krankheit leiden, mindestens fünf Jahre unschuldig im Gefängnis oder in einer Landesregierung Ostdeutschlands saßen, einen Migrationshintergrund aufweisen oder schwul sind, müssen Sie da wohl oder übel Ihre Phantasie anstrengen. Sorgen Sie für einen Skandal. Treten Sie in die Kirche ein. In die katholische. Sagen Sie: „So wichtig ist der Confed-Cup ja nun auch nicht!“ Sagen Sie es mehrmals. Sagen Sie es öffentlich. Aber sagen Sie es. Und sagen Sie, Ihre Schwester ist beim „IS“. Wenn Sie keine Schwester haben, dann waren Sie eben selbst beim „IS“ in Ausbildung, wollen aber den Weg der Gewalt verlassen. „Und dabei hilft mir das Schreiben.“ Tränen. – Wenn das alles nicht klappt, unternehmen Sie einen Selbstmordversuch. Dann brauchen Sie ein Markenzeichen, damit man Sie erkennt. Die Kund... Menschen sollen sofort wissen, wer Sie sind, so sie nur den Hauch einer Spur von Ihnen erhaschen. Damit sie sagen: „Ah ja, das ist doch die / der mit dem Schlapphut / Nasenring / Mundgeruch“, dürfen Sie sich in der Öffentlichkeit natürlich nicht mehr anders zeigen als mit Schlapphut, Nasenring und / oder Mundgeruch. Image ist alles. Im Ausland braucht man als Deutscher ja auch keine langen Erklärungen abzugeben. „Ah ja, Deutschland – Hitler, Beckenbauer, Confed-Cup!“ So geht das. Und wenn Sie dann immer noch nicht reich geworden sind mit Ihrem Oderbruch-Reiseführer (Arbeitstitel: „Karten für’s Pokalendspiel“), dann antworten Sie doch einfach dem netten ehemaligen nigerianischen Präsidentschaftskandidaten, der Ihnen jeden zweiten Tag fünf Prozent seines Milliardenvermögens schenken will, sobald Ihr Konto-PIN-Code auf Mr. Nbongas Schreibtisch liegt. Aber tun Sie was. Irgendwas. Sonst enden Sie so wie ich. Als verarmter Autor. Im Bayern-Fanblock. Josef Bordat
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