Lieben Sie Machiavelli?

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Lieben Sie Machiavelli?
 
Niemand scheint ihn zu lieben, den großen Niccolö Machiavelli, den italienischen Philosophen, der zur Zeit der Renaissance lebte und schrieb, und zwar liebt man ihn deshalb nicht, weil er angeblich in seiner berühmten und nach wie vor gut verkauften und vielleicht auch viel gelesenen Schrift „Il Principe“ - „Der Fürst“ - einer skrupellosen Politik unter Ausnutzung aller Mittel und unter Hintanstellung aller moralischer Bedenken das Wort geredet hat. So sagt man jedenfalls. Machiavellismus ist dabei ein Schimpfwort geworden, das in der politischen Debatte auf den angewendet wird, der ohne Rücksicht auf Sittlichkeit das eigene Wohl und die eigene Macht steigern will (und jedem werden täglich Beispiele aus der Zeitung einfallen). Aber hat Machiavelli das getan und seinen schlechten Ruf verdient? Tatsächlich läßt sich seinem Werk über das Regieren entnehmen, daß ein Fürst nicht unbedingt an tradierte ethische Normen gebunden ist und seine Machtposition auch durch Taten ausbauen kann, die dazu führen, daß er von seinen Untertanen gefürchtet wird. Das klingt doch erschreckend - oder nicht? Wer aber Machiavellis Text genau liest, wird nur finden, daß er Politikern einen Willen zur Macht unterstellt, und dabei ist er ehrlicher als die Damen und Herren, die sich in unseren demokratischen Gesellschaften zur Wahl stellen und dem Volk dabei erzählen, sie wären mehr am Gemeinwohl als an der eigenen Stellung interessiert. Menschen streben nach Macht - gerade in der Politik -, und da Machiavelli diese humane Natur akzeptiert, will er weiter wissen, wie sich einer, der wirklich über Macht verfügt - der Fürst -, am besten verhalten soll. Zu seiner großen Überraschung wird er bei seiner Suche nicht fündig. Im Gegenteil. Er bietet dem Leser vielmehr den Gedanken, daß - in westlichen Kulturen - niemand fündig werden kann, weil es widersprüchliche Überlieferungen gibt. Den Menschen, die ihr Verhalten an Werten ausrichten, sie sie um ihrer selbst willen anstreben, stehen diejenigen gegenüber, die ihre Vorgehensweise aus der historischen Tatsache ableiten, daß Menschen ein in Gemeinschaft lebendes Sozialwesen sind. Ein ideales Reich - so Machiavelli - kann es auf Erde nicht geben - der perfekte Mensch findet sich niemals in einer perfekten Gesellschaft wieder. Mit anderen Worten - wer immer den Menschen das vollkommene Leben auf Erden versprochen hat, der wird von Machiavelli als Schwindler durchschaut, da er niemals halten kann, was er verspricht. Und deshalb hassen ihn politische Visionäre, wenn sie in Talkshows reden dürfen. Wir kleinen Menschen nicht im Fernsehen sollten das Gegenteil tun. Machiavelli zeigt uns nämlich, daß die Frage, wie Menschen zu leben haben, niemals für sie - wohl aber durch sie - beantwortet werden kann. Wir sollten ihn deshalb lieben, auch wenn sich andere darüber wundern.
 
 
© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.