Der Ernst des Lebens
Sensibler Bericht einer Adoleszenz
Mitte der 70er Jahre erlebt der 15jährige Erzähler, der ebenso namenlos bleibt wie seine familiäre Umgebung, in der Enge einer niederländischen Kleinstadt das Erwachen seiner Adoleszenz. Er beginnt das Gefühl der Liebe zu begreifen, spürt erstmals das Aufkeimen von Sexualität und leidet unter dem Druck, der seit dem dramatischen Unfalltod seiner älteren Schwester wie eine dunkle Wolke über seiner Familie liegt.
Um diesem Druck zu entkommen sucht und findet er eine temporäre Arbeit bei einem Buchhändler – und entdeckt das intensive Lesen für sich. Die Literatur wird sein Ventil und die Beschäftigung mit dem Thema des rätselhaften Verschwindens von Menschen, auf das ihn der skurrile Sammler Tempelmans Plat mit seinem „Archiv des Verschwindens“ bringt, öffnet ihm ein weites neues Feld. Hinzu kommen heimliche Besuche bei der intensiv verehrten 16jährigen Frida, Schwester seines Schulkameraden Nico, deren „vaterlose“ Schwangerschaft von ihrer Familie verheimlicht wird, die ihn mit einem stillen Glück erfüllen.
Derweil zieht sich der Erzähler immer mehr von seiner Familie zurück, deren Bestand vor dem nicht überwundenen Tod der Schwester vor dem Zerbrechen steht. Unter dem Vorwand zu arbeiten, verbringt er ganze Nachmittage lesend in einem Café. Wir spüren mit ihm seine sich manifestierende Adoleszenz, das Erwachen von Vernunft und Verantwortung, den fließenden Übergang von Knabenalter zur reifen Jugend.
Die Frage nach dem Vater des Kindes, das Frida trägt, gebiert und „Lulu“ nennt, bleibt derweil das Kernthema des Romans, an dem sich die kleinstädtische Gesellschaft mit Klatsch ebenso beteiligt wie Fridas Familie versucht, das Geheimnis darum mit einer erfundenen Geschichte zu bewahren. Zwar bricht das Lügengebäude zusammen und bringt die Gerüchteküche umso mehr zum Brodeln, doch bleibt verborgen, von wem Frida das Kind empfangen hat. Der Zuneigung des Erzählers zu Frida tut all das keinen Abbruch.
Hans Heesen läßt die bewegende Erzählung geschickt einem Schluß entgegenlaufen, der zwar keine der aufgeworfenen Fragen abschließend beantwortet, dennoch aber schlüssig die Fäden von Verantwortung, Liebe, Verschwinden, Aufbruch und Versöhnung mit dem Leben verknüpft. Das Buch ist ein rares Beispiel gelungener Aufarbeitung der schwierigen Zeit des Erwachsenwerdens. Sehr zu empfehlen.
Hans Heesen – „Zumindest für eine gewisse Zeit“
Erzählung - aus dem Niederländischen von Evelyne Wehrens
© 2024 schruf & stipetic, 137 Seiten Klappenbroschur – ISBN: 978-3-944359-80-9
15,90 € (D) - 16,40 € (A) - 15,90 sFr
Weitere Informationen: www.schruf-stipetic.de
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