Eine Auferstehung von den Toten
Diese Zeilen entstehen kurz nach dem Osterfest 2020, als die Kirchen leer bleiben mußten, weil sich ein Virus mit dem leider hübschen Namen Corona unter den Menschen ausgebreitet hat, immer noch weitere ansteckt und einigen von ihnen so schwer zu schaffen macht, daß es zum Tod von Infizierten in großer Zahl kommt. Bei Viren fallt es daher derzeit schwer, an etwas anderes als an das Sterben von zahlreichern Opfern zu denken, und doch sei es erlaubt - immerhin konnte gerade Ostern und damit die Auferstehung von Jesus Christus von den Toten gefeiert werden -, auch einmal bei den Viren an das Leben zu denken. Sie können tatsächlich von den Toten auferstehen, wie jetzt erzählt wird. In der Biologie lernt man, daß Viren eigentlich weder lebendig noch tot sind und irgendetwas an der Grenze zwischen diesen Bereichen ausmachen. Sie leben erst, wenn sie eine Zelle infizieren und deren Maschinerie übernehmen, ansonsten sind sie nur Materie, die zwar kompliziert gebaut ist (und hübsch aussehen kann), die aber nicht lebt. Vor allem scheinen die Viren tot zu sein, die es geschafft haben, ihr Erbmaterial dem menschlichen Genom anzuvertrauen. Tatsächlich beherbergen die Zellen des Menschen in ihren Chromosomen beträchtliche Mengen an viralen Genen, wie man weiß, seit das humane Genom sequenziert worden ist und offenliegt. Ein französischer Molekularbiologe hat sich die vielen Gene von Viren im menschlichen Erbgut genauer angeschaut, dabei entdeckt, warum sie nicht mehr funktionieren, und sich dann daran gemacht, aus den genetischen Stücken ein ganzes Virusgenom zu basteln - erst im Computer, in dem die Sequenzen zusammengesetzt wurden, dann in einem Syntheseapparat, der daraus das Erbmolekül des Virus herstellte. Das Unheimliche ereignete sich, als dieses im Laboratorium angefertigte Genmaterial in eine Zelle eingeschleust wurde und anschließend anfing, sich zu vermehren. Mit anderen Worten, das Virus war aus seinen toten Stücken auferstanden, und eigentlich könnte man sich zu Ostern darüber freuen - oder kommen manchen Menschen dabei - im Gegenteil - eher mulmige Gedanken? Die Auferweckung des toten Virus zeigt vor allem, welches Lebenspotential im tiefen Inneren der menschlichen Zellen steckt und wie sehr die Existenz der Spezies Homo sapiens mit Viren verknüpft ist. Man dachte immer, die Menschen beherrschen die Natur. Jetzt merkt man, daß das Umgekehrte der Fall ist und die Natur vielmehr den Menschen beherrscht.
© Ernst Peter Fischer
Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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