Berliner Notate
Bärliner Verschwindsucht
Imma Uff is nu Zu. Berlin war mal die Stadt der Eckkneipen, wohin man nur mal eben um die Ecke gehen mußte, um eine Molle zu zischen, oder mehrere, oder gar eine mit Kompott. Doch die Kneipe um die Ecke findet man immer seltener, die Berliner Verschwindsucht hat sie ergriffen. Sie sterben nach und nach aus, wie nun das „Imma Uff“ (auf Hochdeutsch: „Immer auf.“) auf der Charlottenburger Kantstraße.
Mein Copain Clemens Füsers hat in zwei Büchern wunderbar von dieser Berliner Besonderheit erzählt, die Fotografin Gudrun Olthoff sie stimmungsvoll ins Bild gesetzt.
- „Berliner Jahrhundertkneipen“ Lehmstedt Verlag Leipzig
- „Letzte Runde - Berliner Eckkneipen“ Wasmuth Verlag Tübingen
„Die Geisterbahn“ in der Schöneberger Hauptstraße war eine dieser legendären Absturzkneipen, „Der blaue Affe“ am Neukölner Hermannplatz eine andere. Happy Hour schon am frühen Morgen garantiert. Das „Wendel“ am Charlottenburger Richard-Wagner-Platz ist seit einem Jahr verschwunden. Dort traf sich die literarische Boheme der 1970er Jahre, in der auch der aus Wuppertal-Barmen stammende Dichter und Maler Robert Wolfgang Schnell mit seinen Künstlergenossen einst tagte, Märchen erzählte und bis in den frühen Morgen hinein trank. Ein Foto von damals zeigt ihn zusammen mit Uwe Johnson in einem Zustand fortgeschrittener Trunkenheit.
Das „Imma Uff“, das nun für Immer Zu ist, ist das bislang letzte Opfer der Bärliner Verschwindsucht. „Det lohnt nüscht mehr“, meinte die Wirtin. Von eben dieser handelt auch eine Anekdote. Einer unserer Freunde aus „Westdeutschland“, so bezeichnet man immer noch Diejenigen, die irgendwo im Westen Deutschlands leben, liebt es, wenn er in Berlin ist, die Kanstraße rauf und runter zu laufen, um überall mal eben ein Bier zu trinken, so auch eines schönen Tages im „Imma Uff.“ Er sammelt Visitenkarten der Alkoholversorgung der Stadt und so bat er auch die Wirtin des „Imma Uff“ um eine solche Karte. Die schaute ihn an, als käme er vom Mars, riß einen Zettel vom Notizblock der Schultheißbrauerei und setze Ihren Geschäftsstempel darauf, den sie sonst nur für das Finanzamt benötigte. „Hier hamse meene Visitenkarte“ und nahm dem Gast aus Westdeutschland das nur halb ausgetrunkene Bier weg. Ein Rausschmiß.
Die weggestorbenen Kneipen sind in den letzten Jahren so zahlreich, daß man sie nicht alle aufzählen kann. Das „Imma Uff“ ist vorläufig nur die Letzte ihrer Art, der Wirt des „Goldenen Löffel“ einige Häuser weiter hält noch durch. Noch!
Die Verschwindsucht hat auch manchen Restaurants, Bars, Tanzetablissements, Musikclubs den Garaus gemacht. Man kann das auch als natürlichen Wandel in einer Großstadt ansehen, und bisweilen entsteht ja auch Neues, das diese bereichert. „Nichts ist so beständig wie der Wandel“, soll Heraklit dazu gemeint haben. Doch er kannte den Club 39 nicht. Oft sind es die Besonderheiten die Platz machen müssen. Gerade das Außergewöhnliche hat Berlin solange Zeit zu einer aufregenden Stadt gemacht, einer Stadt, die imma uff war, 24 Stunden am Tag.
Ein solch ungewöhnlicher Ort höherer Geselligkeit war der „Club 39“ in Kreuzberg nahe dem Görlitzer Bahnhof. Nach 35 Jahren mußte er im Januar schließen. Hier traf sich bis zuletzt die gemächlich alternde Boheme aus Kreuzberg und darüber hinaus, manche kamen gar aus Schöneberg und Charlottenburg angereist.
Es war ein Privatclub unter dem Motto „Illegal, legal, scheißegal“, aber jeder konnte ungehindert eintreten und bleiben. Eine bunte Mischung aus ehemaligen Hausbesetzern, Musikern, Dichtern, bildenden Künstlern und genialen Nichtstuern bildete die menschliche Fauna.
Am improvisieren Tresen stand „Freitags Imma“ Karin S. aus Wuppertal, was dazu führte, daß auch viele Immigranten aus der Stadt an der Wupper sich am Tresen einen süppelten und quatschten. Sie war auch eine Ehemalige der Hausbesetzerszene, und der Club 39 selbst auch in einem ehemals besetzen Haus. Nur drei Tage in der Woche hatte er geöffnet, früher zudem sonntags als Singleclub. Kaum einer aber machte sich da falsche Hoffung, denn als Musik wurden nur Singelplatten aufgelegt, und das wars.
DJ Lehmann stand an den Plattentellern, der Wodka kostete fast nichts, das Pilsner Urquell wenig, gar Mineralwasser gab es, und zur Apfelernte selbstgemosteten Apfelsaft von einem Bauernhof Brandenburgs. Dazu redete man von vergangenen glorreichen Zeiten, denn die ehemaligen Hausbesetzer gehen nun auch aufs Rentenalter zu. Doch nun ist der Club 39 zu. Für Imma?
Oder gibt es noch Hoffnung in Kreuzberg?
© 2024 Jörg Aufenanger
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