Abschluß mit Auftrag
Das Ende des Tarifstreits bei der Bahn
Von Lothar Leuschen
Ein Erfolg auf der ganzen Linie ist es nicht. Aber Claus Weselsky, die Gewerkschaft der Lokomotivführer und deren Mitglieder gehen recht eindeutig als Sieger aus einem Tarifkonflikt hervor, der Deutschland monatelang in Atem gehalten und sehr viel Geld gekostet hat. Zum Abschied in den Ruhestand bekommt Weselsky seine 35-Stunden-Woche, wenn auch erst ab 2029. Daß die Verhandler der Bahn eine kleine Bremse eingebaut haben, können sie auf der Habenseite verbuchen. Das gilt auch für die Option, freiwillig mehr als 35 Stunden zu arbeiten und dafür dann deutlich mehr zu verdienen. Das hat Sinn.
Unter dem Strich hat sich die Bahn jedoch auf einen teuren Abschluß eingelassen. Das ist eine Niederlage, aber eine unvermeidliche. In Zeiten des Arbeitskräftemangels haben Gewerkschaften nun einmal eine gute Verhandlungsposition. Die Arbeitnehmerlobbyisten kennen freilich auch andere Zeiten. Außerdem sind Lokomotivführer bisher im Vergleich zu anderen Berufsständen mit großer Verantwortung eher schlecht bezahlt. Das wird sich schrittweise nun ändern.
Grundsätzlich ist die Einigung in diesem quälend langen Tarifstreit ein Abschluß mit Auftrag an die Deutsche Bahn und an die Bundespolitik. Der Streik hat gezeigt, in welchem Zustand sich das Rückgrat des öffentlichen Personennahverkehrs befindet. Wenn nicht der Arbeitskampf den Betrieb stilllegt, dann sind es technische Mängel an Zügen und an der Infrastruktur. Und wenn die nicht zu Ausfällen führten, meldete die Bahn Personalmangel. Das führte insgesamt zu Pünktlichkeitswerten, die eines Industrielandes schlicht unwürdig sind. Und daran ist Claus Weselsky nicht schuld. Wenn Deutschland ein funktionierendes öffentliches Mobilitätssystem haben will, das im Wettbewerb mit Auto und Flugzeug bestehen kann, dann muß der Investitionsauftrag dazu von der Bundesregierung erteilt werden. Damit verbunden ist, daß die Bahn genügend Geld bekommt, den Auftrag auch auszuführen. Die Privatisierung der Bundesbahn hat sich jedenfalls bisher nicht als Lösung herausgestellt, sondern als Teil des Problems.
Der Kommentar erschien am 27. März in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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