Wenn Gott gähnt

von Detlef Färber

Detlef Färber - Foto © Silvio Kison
Wenn Gott gähnt
 
Helen Wittig hat einen Wellensittich: Lustiger Vogel, piepst viel, ein richtiger Schwätzer. Nur manchmal läßt Bubi den Schnabel einfach tonlos offenstehen. Helen weiß nicht, warum. Bis sie eines Morgens in der Zeitung liest, daß auch Wellensittiche gähnen. Um Wärme loszuwerden, heißt es da. Helen kommt ins Grübeln. Doch Helen grübelt nicht lange. Dann holt sie Papier und Bleistift und beginnt zu rechnen und? Helen Wittig geht los und kauft sich gleich noch ein ganzes Dutzend Sittiche. Und dann dreht sie zu Hause konsequent die Heizung runter. Und siehe da: Trotzdem wird ihre kleine Wohnung bullig warm, wärmer als je zuvor.
     Was hier noch wie ein Märchen klingt, kann sich demnächst schon zu einer Energierevolution ausweiten. Liegen doch auf diesem bioenergetischen Feld Ressourcen von unvorstellbarem Ausmaß brach: regenerative natürlich. Der Bodenschatz, den es hier zu heben gilt, ist nämlich nichts Geringeres als die Kraft der Müden. Das ist eine Urgewalt, eine saubere Kernkraft, die von ganz tief innen kommt und sich erst beim Gähnen entlädt - bislang leider nutzlos.
     Ach wirklich? Wenn Gähnen ein Ausdruck der Erschöpfung ist, und wir nur für einen Augenblick die Spur dieses Ausdrucks zurückverfolgen, sind wir schon beim Schöpfer der Welt. Er ist mitten drin in seiner Schöpfung: Himmel und Erde gibt es schon. Ist er nicht erschöpft? Ist er nicht von der Finsternis, dem Abgründigen und dem ganzen Tohuwabohu ermüdet? Was tut er? Er gähnt: Gott gähnt! Und dieses Gähnen ist überdeutlich hörbar in der berühmten hebräischen Schöpfungsvokabel, die er mehr haucht, als er sie spricht: Jehi, zu Deutsch: Es werde. Und siehe da - es wird: Licht zuerst und dann ein erster genialer Tag. Und nach weiteren genialen Tagen eine ganze bunte Welt.
     Auch unzählige kleine Schöpferlein schöpfen, und die Genialen generieren und kreieren immer dann, wenn ein Übermaß an Mangel sie ermüdet. Zum Beispiel ein Mangel an Kreationen, die ihnen das Leben erleichtern. Oder wenn sie einfach nur mal so aus Langeweile gähnen. Freilich müssen sie dann aus ihrer Müdigkeit erwachen. Doch die Müdigkeit selbst und dieses wunderbare Gähnen bleiben noch ungenutzt. Weil niemand bisher in der Lage ist, Energie daraus zu fördern und zu speichern.
     Das muß sich schleunigst ändern! Besonders eine Gegend namens Sachsen-Anhalt - auch Das Land der Frühaufsteher genannt - hat nun die Chance, auf dieser Strecke Weltmarktführer zu werden. Schließlich ist hier bei der viel zu zeitigen Nestflucht die Müdigkeitspower spätestens zur Frühstückspause voll nachgewachsen. Damit könnte künftig jeder Sachsen-Anhalter seinen eigenen kleinen Gähn-Reaktor füttern. Und nach dieser Leistung darf er sich dann auch sofort wieder hinlegen. Aber bis jeder Energieerzeuger und -verbraucher eines Tages täglich in seinen eigenen Tankstutzen oder in seine Heizungszuleitung gähnen kann, sind noch ein paar kleine Probleme zu lösen. Deshalb zweifeln die Skeptiker - skeptisch wie sie sind - schon wieder, ob so etwas je was werden kann. Doch die Optimisten und Wellensittich-Experten sind sich da, Bubi sei Dank, längst einig: Energie aus Gähntechnik - das wird schon gähn äääh, gehn.
 
 
© Detlef Färber