Firlefanzgesetz
Regierung regelt Selbstbestimmung
Von Lothar Leuschen
Wie Menschen sich fühlen, die sich biologisch falsch zugeordnet wähnen, oder die biologisch falsch zugeordnet sind, wissen sehr wahrscheinlich nur diese Menschen selbst. Für alle anderen gilt, daß diesen Menschen geholfen werden muß, daß die Gesellschaft es ihnen ermöglichen muß, in ihrem Sein sein zu können. Das gilt für jeden Menschen, und es gilt insbesondere dann, wenn es sich um Jugendliche handelt. Deshalb ist es richtig, daß die Bundesregierung nun ein Gesetz initiiert hat, das den Betroffenen etwas mehr Sicherheit, vor allem aber die Freiheit gibt, ihre selbst empfundene und damit wahre Identität zu leben. Das ist gut.
Das Gesetz hingegen ist schlecht. Es beschert zwar annähernd unbegrenzte Freiheit, eine wirkliche Hilfe jedoch bringt es nicht sich. Stattdessen befreit es betroffene Jugendliche von der Verpflichtung, sich beratend begleiten zu lassen. Dabei ist Beratung keine Beeinflussung, sondern nur das Angebot, vor einer so wichtigen, weitreichenden Entscheidung den eigenen Horizont für möglichst alle Argumente und alle Konsequenzen zu öffnen. Die Entscheidung obläge auch nach einem verpflichtenden Gespräch immer noch der Person, die ihr Geschlecht ihrer Selbstdefinition anpassen möchte, letztlich vielleicht nicht nur dem Vornamen nach.
Doch es wird anders kommen. Die Bundesregierung scheint sich für ein Firlefanzgesetz entschieden zu haben. Demnach ist es künftig möglich, in Ausweisdokumenten seine Geschlechtsidentität im Jahresrhythmus zwischen männlich, weiblich, divers oder „keine Angabe“ zu wechseln. Mit anderen Worten, es ist dem Staat vollkommen egal. Das werden die Befürworter „vollständige Freiheit“ nennen. Es läßt sich aber auch als vollständiges Desinteresse bewerten, vor allem junge Menschen in einer sicher schwierigen Phase wertschätzend und konstruktiv zu begleiten. So entsteht der Eindruck, daß die Bundesregierung nach der Cannabis-Legalisierung ein weiteres Gesetz konstruiert hat, das lediglich dem eigenen Wählerpotential dienen soll. Doch dafür ist das Thema viel zu wichtig.
Der Kommentar erschien am 13. April in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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