Blödem Volke unverständlich

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Blödem Volke unverständlich
 
Blödem Volke unverständlich“ - diese Worte stehen in den „Galgenliedern“ von Christian Morgenstern, und er beschreibt darin die Art, wie man auf dem Galgenberg „des Lebens Spiel“ betreibt, um an „des Daseins tiefem Ernst“ Rache nehmen zu können. Der Ernst und das Spiel - sie scheinen sich auf den ersten Blick eher unversöhnlich gegenüberzustehen und nicht zueinander zu finden, doch der zweite Blick kann etwas anderes erkennen lassen. Der große Physiker Werner Heisenberg hat sich als Schüler bei der Lektüre gelehrter Text der griechischen Antike darüber geärgert, daß die Philosophen den Begriff des Atoms nicht ernst genommen und nicht einmal anständig mit ihm gespielt haben. Für Heisenberg ist „das Forschen nach Naturgesetzen ein unendlich spannendes Spiel“ geworden, denn nur auf diese Weise konnte er die Idee der Atome ausreichend ernst nehmen und verstehen. Und nachdem dies gelungen war, konnte er erneut spielen, diesmal mit den Worten, mit denen er den Menschen, die sich für die Erkenntnisse der Wissenschaft interessieren, den Zugang zu der Welt öffnet, den er das Privileg hatte, gerade gefunden und durchschritten zu haben. Für Heisenberg steckt in diesem Spiel eine wichtige Aufgabe, die sehr ernst zu nehmen ist, wie er es in fünf Bänden mit „Allgemeinverständlichen Schriften“ getan hat. Deshalb wirkt es immer wieder komisch, wenn man in den Medien den Naturwissenschaften vorwirft, zu abgehoben daherzukommen, um danach sich dem philosophischen Schrifttum zuzuwenden. Dabei sind gerade die hier zu findenden Texte größtenteils unverständlich, wie man leicht an dem Satz demonstrieren kann, mit dem der in diesen Tagen gefeierte Hegel das Licht beschreibt: „Als das abstrakte Selbst der Materie ist das Licht das absolut-leichte, und als Materie unendliches, aber als materielle Identität untrennbares und einfaches Außersichsein“. Das ist selbst für Fachleute vollkommen unbrauchbar, und die anderen Menschen hat Hegel sowieso verachtet: „Philosophie ist ihrer Natur nach etwas Esoterisches, für sich weder für den Pöbel gemacht noch einer Zubereitung für den Pöbel fähig.“ Was einen um naturwissenschaftliche Bildung bemühten Autor dabei besonders stört, ist die Tatsache, daß sich Hegels heutige Bewunderer durch nichts in ihrer ergebenen Haltung erschüttern lassen und nach wie vor dessen Idee feiern, nur eine spekulative Philosophie sei strenggenommen eine Wissenschaft. Das Gegenteil ist der Fall. Hegel nahm die empirischen Disziplinen der Naturforschung nicht ernst, und so mußten sie Rache an ihm nehmen und mit ihrem kunstvoll geführten Spiel zeigen, daß sie „das Leben besser kennen“, wie es bei Morgenstern beim Blick vom Galgenberg dem Volke höchst verständlich heißt.
 
© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
Redaktion: Frank Becker