Das Wachstum der Grenzen

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Das Wachstum der Grenzen
 
Die Grenzen des Wachstums“ - von diesem Buch des Club of Rome aus den frühen 1970er Jahren hat schon fast jeder gehört, da mit ihm die Idee eines nachhaltigen Wirtschaftens weite Verbreitung fand und die Millionen Leser (oder nur Käufer?) des Buches erstmals auf die Bedrohungen des Klimawandels durch den anthropogenen Ausstoß von Kohlendioxid aufmerksam gemacht werden konnten - wobei komisch ist, daß kaum jemand an dem letzten Satz zweifeln wird, obwohl gerade dieses Thema bei den „Grenzen des Wachstums“ fast ausgespart geblieben ist. Den Autoren ging es mehr um Grenzen beim Bevölkerungswachstum und dem Ressourcenabbau, was wörtlich zu nehmen ist, da die englischsprachige Originalausgabe von „Limits to Growth“ sprach. Auf jeden Fall haben die frühen 1970er Jahre dem ungebremsten Fortschrittsglauben der 1960er Jahre, als eine Fülle von Futurologen das Jahr 2000 Vorhersagen wollte, einen empfindlichen Dämpfer verpaßt, der immerhin dazu geführt hat, daß erst in diesen Tagen jemand den buchlangen Mut findet, an „die unerschöpfliche Erfindungskraft der Menschen“ zu erinnern und zu prognostizieren, daß es weniger auf „Die Grenzen des Wachstums“ und mehr auf „Das Wachstum der Grenzen“ ankomme. So heißt das Buch des Physikers und Gründers der Cogito Stiftung Simon Aegerter, das für das 22. Jahrhundert eine paradiesische Welt ankündigt. Nach Aegerters Einschätzung wird sich bis dahin die Zahl der Menschen bei elf Milliarden stabilisiert haben, die meisten von ihnen wohnen in Hochhäusern und pendeln mit dem Aufzug nach unten in die Welt der Arbeit. Medizinische Fortschritte heilen alle Krankheiten und schaffen das Altern ab. Treibhaus-Wolkenkratzer produzieren alle Sorten von Gemüsen, Salaten und Früchten, und die für deren Wachstum benötigten Nährlösungen werden aus Abfällen gewonnen, was zusammen eine permanente Kreislaufwirtschaft ergibt. Da sich alles vollständig rezyklieren läßt, wird der Bergbau überflüssig, Fleisch aus Zellkulturen gewonnen und so weiter und so fort. Das klingt wie eine schöne neue Welt, aber Aegerter beschreibt eine Welt für andere Menschen als die, die heute leben. Zum Dasein der heutigen Sorte Mensch gehört die Sterblichkeit mit der dazugehörenden befristeten Zeit ebenso wie die Sorge um die Gesundheit, die keine technische Größe ist, um nur zwei Beispiele zu nennen. In einem sorgenfreien Paradies haben Menschen es noch nie ausgehalten, weshalb niemand dort sein will. Im Gegenteil! „Sesam öffne dich! Ich möchte hinaus!“, wie der polnische Aphoristiker Stanislaw Jerzy Lec in seinen unfrisierten Gedanken geschrieben hat. Allerdings sagt er nicht, wo er dann hin geht. Vielleicht nach Hause?
 
 
© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
Redaktion: Frank Becker