Andersherum

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Andersherum
 
Es hat mir immer Vergnügen bereitet, Sätze umzudrehen, um zu sehen, wie sie dann klingen. In der Schule gab es die Novelle „Kleider machen Leute“, dabei stellte mein Onkel Mäntel her und wußte es besser: Leute machen Kleider. Auf der Universität lernte man, daß es nicht die Geschichte ist, die Menschen macht, sondern daß es die Menschen sind, die Geschichte machen. Und als das Duo aus dem Amerikaner James Watson und dem Engländer Francis Crick die elegante Doppelhelix als Struktur der Erbmaterials vorstellten, meinte der Brite, nicht sie hätten die Doppelhelix gemacht, sondern die Doppelhelix würde umgekehrt die beiden Herren machen. In dem Roman von Robert Musil „Der Mann ohne Eigenschaften“ sinniert die Hauptfigur über das Verhältnis von Menschen und Wahrheit nach, um zu dem Ergebnis zu kommen, daß es nicht die Menschen sind, die der Wahrheit nachstellen, sondern daß im Gegenteil die Wahrheit die Menschen vor sich her treibt. Und wenn schon die großen Themen zur Sprache kommen, kann man den Satz von Karl Marx, das Sein bestimmt das Bewußtsein, erst zitieren und dann umkehren, denn es ist eher das Bewußtsein, daß das Sein bestimmt, wie es Hegel ursprünglich meinte. Der Sturm auf die Bastille hat nicht stattgefunden, weil Menschen hungerten (Sein), sondern weil die Idee herangereift war (Bewußtsein), die Verhältnisse zu ändern. Wer heute über die Lage der Menschen nachdenkt, kann schon mal auf den Gedanken kommen, daß es Grenzen beim Wachstum geben muß, wie der Club of Rome 1972 verkündet hat. Doch Optimisten trauen der Wissenschaft eher zu, ein Wachstum der Grenzen zu bewerkstelligen. Und während man dies unternimmt, sollte man auf sein Handy verzichten, denn sonst kann es passieren, daß man von ihm kontrolliert wird, ohne es selbst noch unter die eigene Kontrolle zu bringen. Als ein berühmter Philosoph von einer Fakultät nicht habilitiert wurde, konnte man lesen, daß nicht der Gelehrte an der Universität, wohl aber die Universität in ihm durchgefallen ist. Es ging bei der Auseinandersetzung um die Frage, ob die Wissenschaft das Geheimnisvolle der Welt erklären kann, doch der Bewerber meinte, daß man dies umgekehrt sehen müsse, da das Geheimnisvolle erklärt, wieso Menschen überhaupt die Wissenschaft entwickelt haben. In diesem Spiel steckt natürlich eine Menge Dialektik, etwa weil nicht nur ein Knecht einen Herrn braucht, sondern weil jemand nur Herr sein kann, wenn er einen Knecht hat, den er also fast dringender braucht als umgekehrt der Knecht ihn. Und inzwischen wissen säkularisierte Menschen, daß nicht nur Gott sie schafft, sondern sie auch ihn. Aber sie müssen aufpassen: Zwar brauchen die Menschen die Natur, aber die Natur braucht sie nicht.
 
 
© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
Redaktion: Frank Becker