Struwwelpeter und Paulskirche
Ein Kriminalroman aus der Zeit der Deutschen Revolution
Darmstadt, 1847. Georg Büchner, Held des brillanten Biedermeier-Romans „Darmstädter Nachtgesänge“ von Ella Theiss ist seit 10 Jahren tot, jedoch verfolgen seine Geschwister Luise, Mathilde, Ludwig und Alexander weiterhin seine libertären Ideen. Noch immer ist Großherzog Ludwig II. von Hessen-Darmstadt an der Macht und unterdrückt mit Hilfe seines Ministerpräsidenten Karl du Thil und dessen brutalem Spitzelapparat das Bürgertum, zumal die einfachen Stände mit harter Knute. Freie Meinungsäußerung oder Pressefreiheit existieren in Hessen-Darmstadt nicht, die rechtlosen Menschen hungern, viele zwingt die Not zur Auswanderung - doch es gärt im Volk. Noch kann sich Ludwig II. mit Hilfe der Preußen und Metternichs Soldaten halten, aber das Eis wird dünn.
Ella Theis hat einen in dieser brisanten Stimmung damals großes Aufsehen erregenden Todesfall aufgegriffen und um ihn und sein historisches Umfeld herum einen sowohl als Kriminalfall spannenden als auch historisch hervorragend recherchierten Roman gesponnen. In ihrer schon in „Darmstädter Nachtgesänge“ begeisternden bilderreichen Sprache zeichnet sie die Ereignisse der bürgerlichen Revolution von 1848 nach und webt neben verbrieften Schicksalen wie denen der Büchners fiktive Biographien ein, die ein greifbares Bild der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse vermitteln.
Unter dubiosen kommt die Gräfin Emilie von Görlitz bei einem Brand in ihrem Darmstädter Palais ums Leben. Ein Unfall - oder doch ein Mord? Während die gelenkte Polizei und Justiz bequemerweise einen Unfall durch dubiose „Selbstentzündung“ konstatieren, bietet sich durchaus auch die Theorie eines Gattenmordes an. Die Gerüchteküche brodelt. Aber wer wird schon einen hochstehenden Adligen verdächtigen? Als die Presse den Fall aufnimmt, wird ein Verdacht auf der Gräfin Kammerdiener Johann gelenkt, ja lanciert. Er wird verhaftet, ihm droht die Todesstrafe. Seine Braut Christina Born hält eisern zu ihm, obwohl sie vom Pöbel schnell als Mörderliebchen geschmäht und ohne irgendeinen Beweis an den Pranger gestellt wird. Sie verliert ihre Stelle als Hausmädchen bei der Familie Kandel, findet aber Unterstützung durch die Geschwister Büchner.
Und ein weiterer, etwas undurchschaubarer Helfer tritt kraftvoll und großzügig für sie ein, der „Wühler“ (Aufrührer, Anm.) Paul Mink. Bald wissen wir, daß er eigentlich Peter Emig heißt und ein zu Spitzeldiensten erpreßter Informant du Thils ist, der quasi als Doppelagent für die Revolution arbeitet, die dann tatsächlich mit Barrikaden-Kämpfen ausbricht, zu neuen Freiheiten, liberaleren Gesetze, mehr bürgerlicher Mitbestimmung und der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung zur Folge hat. Wenn diese dann auch zu großen Teilen bald wieder kassiert werden. Ella Theis führt hier elegant prominente Namen der 1848er Revolution ein, läßt Heinrich Hoffmann und seinen „Struwwelpeter“, die Revolutionäre Friedrich Hecker und Robert Blum auftreten.
Ella Theiss prangert neben dem Absolutismus des Adels aber auch energisch die Verführbarkeit des Pöbels und einen revolutionären Fanatismus an, der jegliche Freiheitsbestrebung konterkariert. Sie räumt beherzt auch mit vermeintlichen Idealisten wie der Demagogin Henriette Zobel (die an der Ermordung der Mitglieder der Frankfurter Nationalversammlung Hans von Auerswald und Felix von Lichnowsky am 18. September 1848 beteiligt war) auf, die der Idee mehr geschadet als genützt haben. Mit einem gewissen Augenzwinkern spottet sie über das antiquierte Frauenbild der männlichen Revolutionäre (Seite 195 ff.), das dem Weltbild von allgemeiner Freiheit und Gleichheit absolut nicht entsprach – und es bis heute noch nicht tut.
Das Buch ist wie sein historischer Vorgänger delikater Lesegenuß, Literatur von hoher Güte, hat viele gekonnte Wendungen, wird von den Musenblättern sehr empfohlen und bekommt ebenfalls unsere Auszeichnung, den Musenkuß.
Ella Theiss – „Das Darmstädter Mörderliebchen“
Ein wahrer Kriminalfall
(Wahre Verbrechen im Gmeiner-Verlag)
© 2024 Gmeiner Verlag, 319 Seiten, Paperback, Quellenhinweise - ISBN 978-3-8392-0567-9
14,- € (Buch) / 10,99 €* (E-Book)
Der Roman „Darmstädter Nachtgesänge“, bei der Edition Oberkassel mittlerweile vergriffen, kann aber hier neu bezogen werden: https://edition-gegenwind.de/EG-Darmstaedter-Nachtgesaenge.htm
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