Nicht radikal - einfach nur offen
Wiglaf Droste trat im Forum am Kipdorf auf
Wer hingeht, weiß um das Risiko, in seinen tiefsten Gefühlen verletzt und bitterbösen Wahrheiten ausgesetzt zu werden. Wer nicht hingeht, muß sich darüber im Klaren sein, zwei gute Stunden seines Lebens versäumt zu haben. Man liebt Wiglaf Droste oder errichtet ihm sozialdemokratische/feministische/nationalistische (beliebig fortzusetzen) Scheiterhaufen kleingeistiger Inquisition.
Droste tritt ohne Fanfaren auf die Bühne, dafür mit derbem Schuhwerk (sind es Wanderstiefel, kam er zu Fuß aus Berlin?), in schwarzsamtenem Gehrock mit Brokatweste und etwas angegriffenem Rüschenhemd, seinen Rasierapparat hat er verbummelt - offensichtlich. Dann setzt er sich an sein Tischchen, schichtet Texte um sich herum und erhebt - leise - seine Stimme. Von diesem Moment an gehört ihm das Publikum, der Saal. Man wird nicht immer seiner Meinung sein, aber man kommt nicht umhin, seinen deutlichen Äußerungen (nein, sie sind nicht radikal, nur offen) zuzuhören. Und es geht ja außer um die Politik eigentlich um alles, was uns umgibt.
Dem, der schreit „Nestbeschmutzer", sei entgegengehalten: „Ach was, das haben andere vor ihm in hohen Ämtern doch längst besorgt. Er kehrt den Dreck nur zu einem übersichtlichen Haufen zusammen.“ Der stinkt, doch Droste reibt ihn uns unter die Nase, damit wir riechen, wie ekelig Lüge, Bigotterie, Inkompetenz und Korruption sind. Von Peter Struck und Guido Westerwelle über Rudolf Scharping und Laurenz Meyer bis Gerhard Schröder läßt er keinen Politiker aus, wettert gegen den Chauvinismus der Franzosen und die Scheinheiligkeit der Belgier, drischt um sich, geht mit jedem und allem ins Gericht - und trifft immer den Richtigen.
Wiglaf Droste kennt erfrischenderweise keine Rücksichten zieht, ein herrliches Pamphlet, die „tapfere kleine Frau“ in einer Orgie von „political incorrectness“ durch den Kakao, verneigt sich vor dem simulierten Orgasmus als sozialer Leistung, weiß um den Zusammenhang von Zen-Buddhismus und Zellulitis und läßt sich über den fahlen behaarten Beinfleischstreifen zwischen Sockenrand und Hosenbein aus - den Todesstreifen des Mannes, den nur Marcel Reich-Ranicki und er im Griff haben. Drostes Programm verlangt Zuhörer, es ist ein Trommelfeuer brillanter Beobachtungen und geschliffener Satire.
Nachzulesen in „Die Rolle der Frau“ (Edition Tiamat), „Begrabt mein Him...“ (Nautilus) und „Zen Buddhismus...“ (Kunstmann).
6.10.2001
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