Auf dem Marktplatz

Wuppertaler Meinung und Dialog

von Lothar Leuschen​

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Auf dem Marktplatz
 
Wuppertaler Meinung und Dialog
 
Von Lothar Leuschen
 
Verfassungsfest gestern auf dem Laurentiusplatz, heute die Autoschau am Zoo und das Luisenfest in der Altstadt – an diesem Wochenende sind die Straßen und Plätze voll in Wuppertal. Zigtausende von Menschen treffen sich, die meisten kennen sich nicht, haben sich noch nie bewußt gesehen, und sind vielleicht zum allerersten Mal zur selben Zeit am gleichen Ort. Das ist eigentlich nichts Ungewöhnliches. Das funktioniert zumeist absolut reibungslos. Warum? Weil es Regelwerke gibt, an die sich (fast) alle halten, wenn sie sich auf einem Platz begegnen. Eines dieser Regelwerke gilt es in diesen Tagen zu feiern. Vor 75 Jahren ist das Grundgesetz erlassen worden, und es ist für alle Wuppertaler eine Ehre, daß eine Elberfelderin maßgeblich daran beteiligt gewesen ist. Helene Weber, Christdemokratin, hatte sich vor allem Gleichberechtigung auf die Fahne geschrieben. Deshalb trägt die Verfassung eindeutig auch die Handschrift dieser ehemaligen Lehrerin, die schon in der Weimarer Republik als Politikerin von sich reden machte.
 
In Zeiten, in denen auch in Wuppertal die Gesellschaft auseinanderzudriften scheint, ist es angezeigt, sich an dieses gemeinsame Regelwerk zu erinnern. Denn es definiert sehr eindeutig, wie Begegnungen im öffentlichen Raum sein sollen – geprägt von Respekt, von Toleranz, von Offenheit – und all das ist keine Einbahnstraße. Es gilt für jeden, egal, woher er kommt, an welchen Gott er glaubt, welcher Hautfarbe er ist, was er kann, denkt oder weiß.
 
Das scheint ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein. Und sichtbar wird das natürlich auf den Straßen und Plätzen in den Städten und Gemeinden, dort also, wo Menschen zusammenleben. Und da ist offenbar einiges schief gelaufen in den vergangenen Jahrzehnten. Ganze Bevölkerungsgruppen wurden abgehängt oder haben sich vom Rest der Gemeinschaft abgekoppelt. Sichtbar wird das, wenn in Hamburg junge radikale Muslime das Kalifat als Staatsform fordern. Sichtbar wird es, wenn auch auf Wuppertals Straßen ein palästinensischer Staat gefordert wird, der letztlich die Existenz Israels beenden soll. Nicht sichtbar, aber bedrückend wird es, wenn wie am Freitag Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, Wuppertal besucht, um die fast 50 Jahre währende Städtepartnerschaft mit Beer Sheva zu feiern, von diesem Besuch aus Sicherheitsgründen aber niemand wissen darf. Und in den sogenannten sozialen Medien werden die Betreiber von Wuppertals Programmkinos angefeindet, weil sie die Wuppertalerin und Kämpferin für Gleichberechtigung, Alice Schwarzer, zu einer Diskussionsrunde eingeladen haben. Respekt? Toleranz? Offenheit?
 
Deshalb ist es wichtig und richtig, das Grundgesetz in seiner ganzen Eindeutigkeit und Qualität zu würdigen. Es ist ein äußerst inhaltsstarkes Merkblatt, das letztlich einen sehr großen Anteil daran hat, daß West-Deutschland nach der verheerenden Diktatur des Nationalsozialismus ein erfolgreicher, sozialer, freier Staat werden konnte. Davon profitiert auch heute noch jeder Einwohner Wuppertals.
 
Verfassungsfest gestern auf dem Laurentiusplatz, heute die Autoschau am Zoo und das Luisenfest in der Altstadt – an diesem Wochenende sind die Straßen und Plätze voll in Wuppertal. Zigtausende von Menschen treffen sich, die meisten kennen sich nicht, haben sich noch nie bewußt gesehen, und sind vielleicht zum allerersten Mal zu selben Zeit am gleichen Ort. 75 Jahre Grundgesetz, 75 Jahre Verfassung - wenn Wuppertal sich am Wochenende und in Zukunft in dessen Geiste auf den Marktplätzen und auf den Straßen begegnet, kann es Kraft, Zukunft und Aussicht auf Erfolge schöpfen bei all den Herausforderungen, die zweifellos auch und gerade auf Wuppertal zukommen.
 
 
Der Kommentar erschien am 25. Mai in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
Redaktion: Frank Becker