Mit Hilfe von Gedankensäure …
Die Biographie eine begnadeten Misanthropen
Er wollte der schärfste Kritiker von allen sein,
und in diesem Bestreben sind Narzissmus und
Hybris nicht weit (…)
(Christof Meueler)
Wiglaf Droste wurde als Satiriker gefürchtet und als Journalist von linkem Blatt zu linker Gazette weitergereicht, doch wollte er ums Verrecken weder als ein solcher noch als Satiriker bezeichnet werden. Autor, Schriftsteller, Lyriker, ja, das ließ er gelten. Christof Meueler, 21 Jahre lang Drostes Redakteur bei die Junge Welt hat in seinen Erinnerungen und Aufzeichnungen gekramt, Literatur durchforstet, mit Freunden und Verwandten Drostes gesprochen, mit Zeitzeugen und Weggefährten, darunter Rayk Wieland, Sabine Vogel, René Zucker, Barbara Zuber, Arnulf Rating, Finn Möhle, Vincent Klink, Max Goldt, Fritz Eckenga, Hans Zippert, Klaus Bittermann, Ulrike Stöhring, Friedrich Küppersbusch, Andrea Jungkunz, Sabine Sieweke-Sturm, Rainer Lipski, u.v.a..
Herausgekommen ist zum 5. Todestag Wiglaf Drostes ein penibel recherchiertes, höchst kleinteiliges und sich im Detail gerne verästelndes Buch über das Leben eines intelligenten, launischen, widerständigen, wortgewaltigen, notorisch linksideologisch orientierten Mannes mit messerscharfem Verstand, aber auch eines von unendlicher Eitelkeit Getriebenen, eines rücksichtslosen, unzuverlässigen, unbehausten, beratungsresistenten ja, sagen wir es offen, egozentrischen Misanthropen. Nebenbei (mitunter in der Hauptsache) ist es eine interessante Geschichte der linken Berliner Presse und der (west)deutschen Satirezeitschriften und ihrer Macher. Ob Christof Meueler Wiglaf Droste gemocht hat? Dazu äußert sich diese Biographie, die dennoch nicht selten wie eine Abrechnung klingt, nicht.
Drostes literarisches und musikalisches Werk (er hielt sich ja auch für einen Sänger), in bisher mindestens 50 Büchern, CDs und Hörbüchern veröffentlicht, wird zu den ewigen Schätzen deutscher Sprache gehören, hat er sie doch wie nur wenige andere analysiert, gepflegt, bereichert und geschliffen benutzt – mache Belege finden sich in Meuelers zitatenreichem Buch, was zur erneuten Lektüre von Drostes literarischem Nachlaß reizt. Vieles davon ist im Verlag von Klaus Bittermann, der Edition TIAMAT erschienen, wie eben jetzt auch Meuelers „Die Welt in Schach halten . Das Leben des Wiglaf Droste“. Weiteres bei Antje Kunstmann oder Nautilus
Es ist ein ungeschminktes Porträt des bösen, bösen Spötters - aber: wenn sich das Recht bösartig zu sein (mit milder Stimme) an der Qualität des Wortes mißt, hatte er es. Da kann man Eugen Roth zitieren: „Mit Hilfe von Gedankensäure baut er sich Bomben, ungeheure...“. Die ließ Droste dann erbarmungslos zwischen seinen erklärten Feinden und gerne auch im Freundeskreis detonieren. Wenigen war er als Freund geschweige als Liebhaber zuverlässig, vielen lag er gern auf der Tasche. Er war dafür literarisch und sprachlich unverschämt gut und überhaupt nicht „politisch korrekt“ - gottseidank! Er lag im selbst erklärten Krieg mit dem „Establishment“ und jeder anderen Literaturkritik als der eigenen. Gleichzeitig verhöhnte er die Idylle, die er gerne gehabt hätte und nie bekam. Und doch hatte er im gehaßten Kulturbetrieb ein großes Vorbild, zumindest was seine Socken anging: 2001 ließ er einmal im Gespräch durchblicken, daß er und Dr. h.c. mult. Marcel Reich-Ranicki die einzigen Männer seien, die beim Übereinanderschlagen der Beine kein weißes Beinfleisch zeigten.
Wer seine Bücher und Kolumnen nicht gelesen hat, hat etwas verpaßt, wer nicht in seine Lesungen ging, mußte sich darüber im Klaren sein, zwei gute Stunden seines Lebens versäumt zu haben. Man liebte Wiglaf Droste oder man errichtete ihm sozialdemokratische/feministische/nationalistische (beliebig fortzusetzen) Scheiterhaufen kleingeistiger Inquisition. Doch Droste rieb uns den Gestank von Lüge, Bigotterie, Inkompetenz und Korruption unter die Nase, damit wir rochen, wie ekelig sie sind. Er war ein Autor, der selbst in die Hand biß, die ihn fütterte, wenn sie ihn dazu reizte. Auch wenn er über sein tief empfundenes Leid klagte, nein, doch kein Mitleid, denn durch die Zeilen schwitzte die eigene Lust des Autors über seine Qual.
Er wollte die Welt in Schach halten, doch letztlich bot das Leben ihm Schachmatt, als er seine Alkoholsucht nicht in den Griff bekam.
Ich war nie ein Jünger des Verzichts
und gab, wie ich es nahm und wie es kam,
im Fall des Falles immer alles,
und eines Morgens kommt das große Nichts.
(Wiglaf Droste „Autobiografie“)
Christof Meueler – „Die Welt in Schach halten“
Das Leben des Wiglaf Droste
© 2024 edition TIAMAT, Serie Critica Diabolis - Band 329, 303 Seiten, gebunden – ISBN: 978-3-89320-315-4
30,- €
Weitere Informationen: www.edition-tiamat.de
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