Demokratie: ein Auslaufmodell?

Steven Levitsky und Daniel Ziblatt – „Die Tyrannei der Minderheit“

von Johannes Vesper

Demokratie: ein Auslaufmodell?
 
Die Tyrannei der Minderheit
 
Die USA vor der Wiederwahl eines notorischen Lügners 
und verurteilten Straftäters
 
Von Johannes Vesper
 
Die Zahl der Autokratien in der Welt nimmt zu, die der demokratischen Staaten dagegen ab. Bundespräsident Steinmeier sagte bei der Feier zum 75. Jahrestages des Grundgesetzes die Demokratie sei unter Druck. Auch die USA, derzeit älteste Demokratie der Welt. sind in ihrer demokratischen Staatsform erheblich gefährdet, dank der Republikaner, dank weißer Christen, die durch massive Einwanderung vor allem aus Lateinamerika seit rund 70 Jahren ihren Bedeutungs- und Machtverlust erfahren und darauf hoffen, daß der blonde Donald Trump ihre weißen Privilegien rettet. Die Wahl des schwarzen Präsidenten Obama schien ein Signal dafür, daß mit erfolgreicher Multiethnizität, also mit ethnischer Diversität und Gleichbehandlung die USA ein Vorbild für die Welt sein hätten sein können. Wenn aber 1. ordnungsgemäß durchgeführte, verlorene Wahlen nicht akzeptiert werden und 2. Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele angewendet wird, dann ist die demokratische Staatsform aktuell so bedroht, wie sich die Autoren das in ihrem ersten Buch: „Wie Demokratien sterben“ (2017) nicht haben träumen lassen. Und wenn 3. dann noch zusätzlich loyale Demokraten nicht konsequent mit Antidemokraten brechen, nicht eindeutig Stellung beziehen, und Antidemokraten zunehmend mit ihren politischen Vorstellungen in der Gesellschaft Fuß fassen, dann ist die Demokratie in akuter Gefahr. Antidemokratische Kräfte einzudämmen, ist nicht einfach, vor allem dann nicht, wenn diese durch Wahlergebnisse gestärkt werden.
 
Die Qualität des Buches beruht u.a. darauf, daß solche allgemein gültigen Mechanismen nicht nur für die USA, sondern ebenso für gefährdete Demokratien der Welt von Thailand bis Brasilien aufgezeigt und zahlreiche Beispiele auch aus der europäischen Geschichte sachkundig erläutert werden. Für den Geschichtsinteressierten eine Fundgrube, der z.B. erfährt, daß in Wilmington (North Carolina) schon in den 90er Jahren des 19.Jahrhunderts eine Allianz aus Schwarzen und armen Weißen die überwältigende Mehrheit im Parlament des Bundesstaates erreichen konnten und Schwarze auch den Stadtrat von Wilmington und in Verwaltungspositionen gewählt worden waren, was vom damaligen weißen Establishment dort nicht akzeptiert wurde. Die Weißen prügelten, schossen gewählte schwarze Amts-und Würdenträger aus dem Amt und brachen so die „Vorherrschaft of negros. 
 
Hauptsächlich in den Südstaaten war nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei 1865 im Gefolge der „Reconstruction“ eigentlich die Apartheid (Jim-Crow-Gesetze) juristisch festgeschrieben worden. Gleichberechtigung der Schwarzen wurde erst unter Präsident Lyndon B. Johnson mit dem Bürgerrechtsgesetz von 1964 und dem Wahlrechtsgesetz von 1965 erreicht. Die Autoren sprechen bei diesen Gesetzen von der dritten Gründung der USA nach Verabschiedung der Verfassung 1787 und der Reconstruction-Gesetze (1865-1877) zur Wiedereingliederung der ausgetretenen Südstaaten nach dem Sezessionskrieg 1860-650).
 
Die amerikanische Verfassung leidet aber noch heute unter strukturellen Fehlern: keine Verhältniswahl für Senat und Wahlmännerkollegium zur Wahl des Präsidenten. So wurde z.B. D.T. als Wahlverlierer doch Präsident. Die Wahl der Richter des Obersten Gerichtshofes auf Lebenszeit beschränkt die Anpassung der Rechtsprechung an sich verändernde gesellschaftliche Verhältnisse. Außerdem höhlt die aktuelle politisch-parteiliche Besetzung des Gerichtshofes die Akzeptanz der Rechtsprechung aus. Der Filibuster zur Blockade der Mehrheit durch die Minderheit, endlich extreme Mehrheitsregeln für Verfassungsänderungen (Zweidrittelmehrheit im Kongreß, Zustimmung von ¾ der Bundesstaaten) verhindern die für Verfassungsänderungen notwendige Flexibilität, wodurch es zum Problem der „toten Hand“ kommt, nämlich der Belastung nachfolgender Generationen durch politische Entscheidungen. Das Problem, welches bezüglich Staatsverschuldung und Klimakatastrophe aktuell auch hier in Deutschland diskutiert wird, forderte schon im 18. Jahrhundert die Besten. Die revolutionäre Verfassung Frankreichs von 1793, stellte fest: „Ein Volk hat stets das Recht, seine Verfassung zu revidieren, zu Verbesserung zu ändern. Eine Generation kann ihren Gesetzen nicht die zukünftigen Generationen unterwerfen“. Infolge der Schwierigkeiten einer Änderung wurde die Verfassung der USA trotz 11868 Versuchen nur 27 mal geändert, die norwegische Verfassung dagegen von 1814 bis heute 316 mal. Bei der Abschaffung nichtmajoritärer Institutionen hängen die USA weit hinter den demokratischen Entwicklungen der letzten 150 Jahre hinterher. Das alles wird in dem überaus lesenswerten Buch sehr zugänglich ausgeführt. Dank zahlreicher Anmerkungen und einem umfangreichen Register kann sich der Leser auch leicht orientieren. Auf eine schnelle Umsetzung der Empfehlungen der Autoren zur weiteren Demokratisierung der ältesten Demokratie der Welt kann man nur hoffen, damit aber kaum rechnen. Die Autoren forschen und lehren in Harvard bzw. Berlin (Daniel Ziblatt aktuell am Wissenschaftszentrum Berlin).
 
Steven Levitsky und Daniel Ziblatt – „Die Tyrannei der Minderheit“
Warum die amerikanische Demokratie am Abgrund steht und was wir daraus lernen können Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt
© 2024 Deutsche Verlagsanstalt, 349 Seiten, gebunden - ISBN 978-3-421-07003-6
26,- €
 
Weitere Informationen: www.randomhouse.de