Königin und Kalligraph
Kurzgeschichten aus dem alten Damaskus
Warum hat er das jüdische Ghetto von Damaskus verlassen, an dem er so innig gehangen hat? Die berühmten Sehenswürdigkeiten der Stadt wie z. B. die berühmte Umayyaden- Moschee hätten Moussa Abadi nicht aufhalten können. Aber die Straßenszenen und die Geschichten, die er in seiner Jugend dort erlebt hat, bzw. die ihm erzählt worden sind, an die hat er „süße Erinnerungen“ und beschrieb das Ghetto und seine „Damaszener Juden, wie er sie kannte“. So liest man, wie sich Kutscher mit Fuhrleuten wegen Hindernissen auf der Straße streiten, die ihrerseits mit „Peitschen Maultiertreibern drohen, die wiederum Kameltreiber verfluchen, während jene niemand anderes zum Drangsalieren hatten als den obligatorischen Esel, der mit jeder Karawane mitzog“. Aber das Stipendium für die Sorbonne lockte unwiderstehlich. Er ging als 18jähriger nach Paris mit dem Segen des zahnlosen Flickschusters der Barfüßigen, dem er immer wieder, wenn er auf dem Schulweg dessen Werkstatt passierte, aus dem Hohen Lied Salomos rezitiert hatte. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um ein Sammlung von Geschichten aus dem Ghetto von Damaskus: Legenden, Fabeln, über das zwanglose Zusammenleben von Juden und Muslimen, über die Untaten der Kolonialmächte und dem Abtransport der Leichen dabei Getöteter mit Karawanen (zwei Leichen pro Kamel), über das Aufblasen geschlachteter Schafe (damit ihnen besser das Fell über die Ohren gezogen werden konnte), also über alles, was es im Ghetto Interessantes gab. In Anmerkungen werden fremde Begriffe erläutert.
Das Nachwort von Rafik Schami, selbst Aramäer aus einem Dorf nördlich von Damaskus, informiert über den Autor Moussa Abadi (1910-1997) und über die Vergangenheit in der Region, in der ein friedliches, allerdings nicht repressionsfreies Zusammenleben der muslimischen Mehrheit mit Minderheiten, auch den Juden, anscheinend möglich war, wobei die zweihundert Jahre lange Brandschatzung durch christliche Kreuzzüge die Region nachhaltig geprägt hatte und der europäische Kolonialismus des 19. Jahrhunderts mit Aufteilung Arabiens in Interessenregionen als Fortsetzung der Feindseligkeiten zwischen Christen und Muslimen in der Region verstanden wurde. Der Hinweis auf ein problemloses Miteinander von Juden und Muslimen in Spanien (711-1492) scheint zu bestätigen, daß das Verhältnis zwischen Muslimen und Juden bei großen religiösen Gemeinsamkeiten (Koscher und Halal, Beschneidung) erst mit der Gründung des Staates Israel 1948 bis hin zu den Kriegen und aktuellem Terror problematisch wurde. Insofern ist dieses Buch von besonderer Bedeutung gerade heute, dabei wurde es schon 1993 geschrieben, als der jüdisch-arabische Konflikt fast noch beherrschbar erschien. Moussa Abadi hat in Frankreich, seiner zweiten Heimat, Widerstand gegen die Nazis geleistet und zusammen mit seiner Lebensgefährtin Odette Rosenstock und dem Bischof von Nizza 527 Kinder vor dem Zugriff der SS unter dem furchtbaren Alois Brunner gerettet. Aber das ist eine andere Geschichte. Keine grauenhafte Kriegsberichterstattung, keine Märchen aus 1001 Nacht, nein, aber wunderbare Kurzgeschichten aus dem vergangenen Damaskus, die hoffen lassen, daß wie einst Verständnis, Großzügigkeit, Nachsicht und Weisheit, Frieden in die Region zurückkehren könnten. Sehr empfehlenswert!
Moussa Abadi - „Die Königin und der Kalligraph“ - Meine Damaszener Juden
Aus dem Französischen übersetzt von Gerhard Meier, mit einem Nachwort von Rafik Schami und einer editorischen Notiz. Deutsche Erstausgabe. Titel der französischen Originalausgabe „La Reine et le Calligraphe“(1994)
© 2024 Manesse Verlag, 209 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen - ISBN 978-3-7175-2561-5
26,- €
Weitere Informationen: www. www.penguin.de/Verlag/Manesse/37000.rhd
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