Der Beginn der Bewegung

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Der Beginn der Bewegung
 
In diesen Tagen ist viel davon die Rede, daß sich die Mobilität der Menschen ändert. Angefangen zu haben scheint die Beweglichkeit der Gesellschaft im 19. Jahrhundert, als die Kutschen erst von Eisenbahnen und dann von Kraftfahrzeugen abgelöst wurden, wobei es Menschen gab, die dem Einsatz von konkreten und leibhaftigen Pferdestärken ein baldiges Ende prophezeiten, da die Städte die stinkenden Haufen kaum noch bewältigen konnten, die als Pferdeäpfel die Straßen zudem noch unbegehbar machten. Dieses frühe Umweltproblem übersehen hat der beliebte Kaiser Wilhelm II., der nicht an die Automobile glaubte und stattdessen den Pferden eine große Zukunft prophezeite.

Unabhängig davon lautete damals an der Wende zum 20. Jahrhundert die heute wieder aktuelle Frage, ob die rollenden Maschinen ihre benötigte Energie auf elektrischem Wege anzapfen oder mittels chemischen Kraftstoffgemischen in den Tank bekommen sollen. Neben dem Thema der Elektroautos erörtern die Branche und die Öffentlichkeit derzeit vor allem die Aussichten auf sich selbst steuernde Fahrzeuge, und in Science Fiction Romanen, die um 2020 spielen, kann man schon in ein Auto einsteigen, sein Ziel nennen - „Flughafen Frankfurt“ mit der Angabe des Parkhauses und eines reservierten Stellplatzes - und sich dann in sein iPhone oder ein Buch vertiefen, während das Auto seinen Weg durch den Stadtverkehr sucht und das angegebene Ziel ansteuert und findet. Es bleibt ein komischer Gedanke, in ein Taxi ohne Fahrer einzusteigen und nach der Nennung der anvisierten Adresse mit dem Vorzeigen einer Kreditkarte die Tour beginnen zu können, und es wird einem eher mulmig, wenn man sich vorstellt, mit einem ICE ohne Lokführer unterwegs zu sein oder gar in einem Flugzeug ohne Pilot in den Urlaub zu starten. Zwar hört man oft den Hinweis, daß etwa bei Langstreckenflügen schon längst das Cockpit auf Automatik eingestellt sei, aber bekannt ist auch der Witz, daß man an Bord einer vollautomatischen Maschine mit den Worten begrüßt wird, „Lehnen Sie sich in Ihrem Sitz zurück. Es kann nichts schiefgehen, nichts schiefgehen, nichts schiefgehen.“ Unterwegs sein, mobil bleiben, das gehört zum Menschen. Selbst antike Philosophen haben bereits bemerkt, daß „alles fließt“, wie es bei Heraklit heißt, bei dem auch steht, daß keiner zweimal als derselbe in einen Fluß steigt. Das heißt, wer wirklich in Bewegung ist, das ist nicht der menschliche Körper, sondern die menschliche Natur, und auch wenn das christliche Denken mehr auf unveränderliche Ewigkeiten angelegt war, so haben Menschen spätestens im 19. Jahrhundert diese Sichtweise abgelegt und sich dem Gegenteil zugewandt, nämlich dem Wandel der Arten und der Evolution des Lebens mit ihrem genetischen Werden.

In dieser Zeit kannte man schon die mechanischen Gesetze der - was sonst? - Bewegung, wobei man Angst hatte, sie könnten den Menschen selbst erfassen und ihm seine Freiheiten nehmen. Als Reaktion darauf gaben sich die Betroffenen ihre eigene Bewegung, das heißt, sie schrieben einem einzelnen Leben die Chance zu, seine eigenen Werte und damit sich selbst hervorzubringen. Im Gefolge der Physik von Newton und der Idee der Aufklärung entstand das, was in der europäischen Kultur als „romantische Bewegung“ bezeichnet und in der aufgezeigt wird, daß Menschen in einem fort schöpferisch tätig sind und sich dabei dauernd selbst erschaffen. Es gibt kein Ich, sondern nur die Bewegung in seine Richtung, und in dem letzten Jahrhundert konnte diese innere Mobilität in den Außenraum dringen und dort immer besser erlauben, die Sehnsucht nach fernen Ländern und fremden Orten zu befriedigen. Menschen unternehmen alles, um ihre Mobilität zu erhöhen. Nur vergessen sie dabei, innezuhalten und zu sich selbst zu finden. Der Weg ist nicht das Ziel, auch wenn Konfuzius so geschrieben hat. Ich bin das Ziel. Mit mir hat die Bewegung begonnen, und bei mir soll sie enden, auch wenn sie nie aufhört. Man kann sich nämlich täglich neu erfinden. Das überläßt niemand einer Maschine.
 
© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
Redaktion: Frank Becker