Vom Objekt der Begierde zum Kultobjekt

Frank Rönicke – „Trabant - Legende auf Rädern“

von Frank Becker

Vom Objekt der Begierde zum Kultobjekt
 
Die Geschichte des „Trabant“ aus Zwickau
 
Ich erinnere mich noch sehr gut an die ungezählten Trabis, die ich während der ruhmlosen Geschichte der DDR an den Straßen der Republik und entlang der Interzonenautobahn des Arbeiter- und Bauernstaates regelmäßig stehend und mit geöffneter Motorhaube gesehen habe. Trabant-Fahrer wurden zwangsläufig zu geübten Bastlern. Mir ist noch das Bild vor Augen, das ich 1989 in Berlin-Pankow, Ecke Kavalierstraße sah: ein Müllcontainer, aus dem ein „Trabant“ herausragte – entsorgt im reinsten Wortsinn. Das Auto aus Plaste hatte seine Zeit überlebt, war ein Fossil sozialistischer Planwirtschaft, das sich die Bürger der Deutschen undemokratischen Republik vom Halse schafften so schnell es ging. Heute wird der Blick auf die ruhmlose Rennpappe, auch Plastebomber genannt von Nostalgie überzuckert, der Trabant wird zum Kultobjekt, ja zur Legende stilisiert.
 
Ab 1957 wurde der knatternde Zweitakter in knapp 34 Jahren Bauzeit bis zum stillen Dahinscheiden der DDR über drei Millionen Mal produziert - die in Serie gefertigte Pkw-Baureihe „Trabant“ des Herstellers VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau - ehemals Auto Union AG - war zweifellos ein echtes Erfolgsmodell. Nun ja, viel Auswahl hatten die DDR-Bürger ja auch nicht. Der Klein(st)wagen mit einer Karosserie aus Duroplast hat 33 Jahre nach seinem offiziellen Ende wieder Kultstatus erlangt. Frank Rönicke, der das alles noch selbst erlebt hat - die langen Lieferzeiten, den Zweitakt-Duft und den typischen Klang – hat nun ein höchst lesenswertes und mit einzigartigem Bildmaterial reich ausgestattetes Buch über den Trabant geschrieben.
Die Geburtsstunde des ostdeutschen Kultautos hatte am 7. November 1957 geschlagen. Damals lief das erste Fahrzeug der Startserie des Trabant P 50 in Zwickau vom Band. Am 30. April 1991 hieß das aktuelle Modell - bereits seit 1965 - Trabant 601.
 
Das Politbüro der SED hatte im Jahr 1954 mit Blick auf den erfolgreichen Volkswagen der Bundesrepublik beschlossen, als erschwingliches Volksbeförderungsmittel einen eigenen preiswerten und robusten Kleinwagen in Auftrag zu geben. Als Grundbedingungen wurden ein Gewicht von maximal 600 kg und ein Verbrauch von 5,5 l/100 km vorgegeben. Der Preis sollte bei einer Jahresproduktion von 12.000 Stück nicht mehr als 4.000 Mark betragen. Weil Tiefziehblech auf der Embargoliste der kapitalistischen Länder stand und daher in der DDR relativ rar und teuer war, sollte die Karosserie des Fahrzeugs aus Kunststoff (Plaste) gefertigt werden. So geschah es – und wurde ein Stück deutscher Geschichte.

O-Ton 1965: „Auf der Frühjahrsmesse konnten wir endlich etwas Neues zeigen: den Trabant 601. Unterdessen bestimmt dieser formschöne, leistungsfähige Kleinwagen schon weitgehend das Straßenbild unserer Städte. In diesem Jahr liefert das Zwickauer Werk 70.000 Trabants, das sind 10.000 mehr als 1964. Alle drei Minuten verläßt ein Wagen das Fließband, der tägliche Ausstoß beträgt jetzt durchschnittlich 230 Wagen. Eine zweite Lackiertaktstraße ist im Bau und wird in Kürze in Betrieb genommen, dadurch kann die Farbskala der Trabant-Autos erweitert werden. Schon in diesem Jahr werden die Trabantkäufer zwischen sieben Modefarben ihre Autos wählen können. Auf dem IFA-Stand wird als Modell ein Trabant Plexi-Auto ausgestellt, damit die Besucher das Innenleben ihres Lieblings studieren können.
Zum ersten Mal wird der Trabant 601 mit dem neuen Kupplungsautomat gezeigt. Dieser Automat (Hycomat) übernimmt das Aus- und Einkuppeln, so daß der Fahrer mühelos von einem Gang in den anderen schalten kann. Der Kupplungsfußhebel fällt fort, so daß man nur noch mit zwei Fußhebeln zu tun hat: Bremse und Gas. Ein Traum unserer Damen geht in Erfüllung. Das Autofahren wird viel, viel leichter. Diese Neuerung der Zwickauer Automobilbauer, an der ihr Direktor, der Verdiente Techniker des Volkes, Herbert Uhlmann, großen Anteil hat, stellt beim Trabant den Anschluß an das Weltniveau her.“

Rund zwölf Jahre betrug die Wartezeit am Ende bei der Bestellung eines neuen Trabant. Die „Erfolgsgeschichte“ des pastellfarbenen Straßenflohs, liebevoll „Trabi“ genannt, ist allerdings weniger auf seine Qualität, denn auf seine Monopolstellung zurückzuführen. Was sonst war in der DDR schon an fahrbaren Untersätzen zu bekommen? Da gab es den Wartburg, der noch schwerer zu bekommen war - Skoda, Lada, Polski Fiat, Moskwitsch und andere Produkte der sozialistischen Bruderländer waren schier Exoten auf den Straßen der Republik. Und Volvo, VW oder gar Mercedes fuhren nur die Funktionäre der sogenannten „Volksdemokratie“. Aber das ist ein anderes Thema. Einem spät für den Export entwickelten Viertakter war kein Erfolg beschieden.
Als am 30. April 1991 der letzte „Trabant“ im Automobilwerk VEB Sachsenring Zwickau vom Band fuhr, endete sang- und klanglos die 44-jährige Geschichte einer Legende. Das Herstellerwerk der Rennpappe mit dem geschwungenen S im Kreis wurde „abgewickelt“ wie so viele Überbleibsel der dahingegangenen DDR.
 
Detailreich und mit Zahlen, Fakten und technischen Daten erzählt Frank Rönicke die von Pleiten, Pech und Pannen geprägte Geschichte des begehrten, ebenso geliebten wie gehaßten Automobils, das später einmal in den verklärenden Geschichtsbüchern auf Augenhöhe mit dem Volkswagen stehen wird. Ein brillant recherchiertes, mit historischem Rückblick unerhört reichem Bildmaterial sowie Dokumenten und Prospektmaterial versehenes Buch, das jedem Autoliebhaber - nicht nut Ostalgikern - viel Freude machen wird und unbedingt zu empfehlen ist.
 
Frank Rönicke – „Trabant - Legende auf Rädern“
© 2024 Motorbuch Verlag, 223 Seiten, gebunden, 21 x 24 cm, 230 Bilder - ISBN: 978-3-613-04641-2
34,90 €
 
Weitere Informationen: www.motorbuch.de