Schwarmintelligenz

Martin Wikelski – „The Internet of Animals“

von Johannes Vesper

Schwarmintelligenz
 
Tracking im Internet der Tiere
 
Beim nächtlichen Gesang der nach Süden ziehenden Zwergdrosseln über den einsamen Feldern von Illinois kam die Idee und beginnt die Erzählung des Verhaltensbiologen Martin Wikelski. Raumfahrt und die Erforschung des Alls hatten immer wieder die Fantasie beflügelt, ob es außerhalb unserer Erde noch Lebewesen geben könnte. Immerhin hat diese Vision inzwischen zu „ICARUS“ geführt: International Cooperation for Animal Research Using Space, mit der tierische Bewegungsprofile untersucht und Signale von an Tieren befestigten Minisendern über Satelliten ausgewertet werden. Die Tierliebe des Autors, die in den zahlreichen persönlichen Beobachtungen zu Tage tritt, fasziniert den Leser. Und der Gedankensprung von individueller Beobachtung hin zur Biotelemetrie, zu telemetrischer Analyse von Vogelzügen in verschiedenen Erdteilen, bzw. von der Radioastronomie, mit der das All möglichst weit in seine Tiefen erforscht wird, hin zur Erforschung des Lebens auf unserem Planeten mit der gleichen Technik, erschien träumerisch, illusorisch und eine Verwirklichung vermessen.
 
Wie Weltraumforscher zu Biologie und Ökologie finden, mit welchen technischen Schwierigkeiten, Minisender von wenigen Gramm entwickelt wurden, die ihre Signale zur IOS und zu Satelliten senden können wird ebenso berichtet wie über den europäischen Kuckuck, der zum Überwintern nach Angola fliegt (8000 km Luftlinie). Aber auch die asiatischen Kuckucke fliegen dorthin. Damit die Kuckucke von Kamtschatka winters nicht frieren, fliegen auch sie nach Angola (15.000 km Luftlinie), aber die Horsfieldkuckucke aus der Mongolei überwintern lieber in Osttimor (Indonesien). Das Ganze ist nicht nur ungeheuer spannend sondern auch nützlich. So kann mittels Biotelemetrie die Ausbreitung der Schweinegrippe verfolgt werden, oder auch die Züge zahlloser Enten, die zum Überwintern zwischen Sibirien und den Tropen pendeln und dabei als potentielle Überträger und Vektoren von Infektionserregern gelten. Auch Milliarden von Singvögeln wechseln zweimal pro Jahr die Kontinente. Sie sind für die Schädlingsbekämpfung wichtig. In den letzten 20 Jahren hat sich ihre Zahl um 30% reduziert. Das alles ist sehr beunruhigend, dabei außerordentlich unterhaltsam geschrieben und von erheblicher Bedeutung für die Lebensverhältnisse auf der Erde bei fortschreitender Zerstörung der Ökosysteme in der Folge menschengemachten Klimawandels.
 
Migration spielt also in riesigem Umfang auch für Tiere eine Rolle, nicht nur für Menschen, die als Touristen im Sommer wie die Kuckucke im Winter vor allem weg, woanders hin wollen („Da, wo Du nicht bist, da ist das Glück“) oder ganzjährig als Flüchtlinge aus ihrer Heimat fliehen und z.B. den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer in Kauf nehmen. Sehr lesenswert. Autor Martin Wikelski sitzt nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft sondern als Biologe, Ornithologe und Professor an der Universität Konstanz bzw. als Direktor im dortigen Max- Planck-Instituts für Verhaltensforschung. 
 
Martin Wikelski – „The Internet of Animals“
Was wir von der Schwarmintelligenz des Lebens lernen können
Aus dem Englischen von Sven Dörper und Thomas Wollermann
© 2024 Malik / Piper Verlag München, 320 Seiten, gebundenes Buch mit 25 Illustrationen sowie einem Schwarz-Weiß-Foto und 15 Farbfotos - ISBN 978-3-89029-561-9
25,- €