Klärungsbedarf
Die Aufarbeitung der Corona-Pandemie
Von Lothar Leuschen
Jugend und Weisheit müssen kein Widerspruch sein. Als Politiker in den frühen 40ern seines Lebens gilt Jens Spahn als noch verhältnismäßig jung. Umso mehr ließ nach der Corona-Krise sein Hinweis darauf aufhorchen, daß „wir uns nachher einiges zu verzeihen haben“. Wie recht der damalige Gesundheitsminister von der CDU doch hat. Gerade erst stellte das Verfassungsgericht des Landes Thüringen fest, daß die Ausgangssperren während der Pandemie teils rechtswidrig waren. Das ist schlecht. Es wird in seiner Minderqualität aber noch von der Tatsache übertroffen, daß viele Kinder und Jugendliche von der Schließung ihrer Schulen psychisch schwer beeinträchtigt sind. „Wir werden uns einiges zu verzeihen haben.“ Das könnte auch für Jens Spahn selbst gelten. Die Beschaffung von Mund-Nase-Schutzmasken ist zu Zeiten der Coronakrise anscheinend panikartig erfolgt. Wie grau die Grauzonen im Beschaffungswesen gewesen sein müssen, haben bereits Gerichtsverfahren gezeigt, in denen es auch um die Tochter des ehemaligen CSU-Chefs Franz-Josef Strauß ging. Bei Jens Spahn allerdings rankt sich die Kritik der Grünen-Fraktion im Bundestag nicht um persönliche Bereicherung. Es geht vielmehr um Risiken aus Rechtsstreitigkeiten mit Lieferanten, die sich im schlechtesten Fall auf mehr als zwei Milliarden Euro belaufen können.
Nun ist es ein leichtes, den Grünen vorzuwerfen, sie wollten vom Regierungsdilettantismus ablenken, an dem sie mit SPD und FDP in Berlin beteiligt sind. Das mag ein Beweggrund sein. In der Hauptsache aber gehen die Abgeordneten ihre Pflicht nach, die Regierung zu kontrollieren, auch wenn es eine ist, die nicht mehr amtiert. Spahn war als Minister verantwortlich dafür, daß Masken zu sehr hohen Preisen beschafft worden sind. Daß am Ende alles kam, wie es gekommen ist, daß die Corona-Pandemie im Nachhinein wahrscheinlich anders hätte organisiert werden müssen, konnte er möglicherweise nicht wissen. Das entbindet den Ex-Minister aber nicht von der Pflicht zu erklären, was gewesen ist. Auch wenn die anderen ihm danach einiges zu verzeihen haben sollten.
Der Kommentar erschien am 28. Juni in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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