Die Bildung des Menschen – Kreativität in Genen und Gehirnen

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Die Bildung des Menschen –
Kreativität in Genen und Gehirnen
 
Die Bildung des Menschen ist doppelt doppeldeutig. Erstens ist „Bildung“ doppeldeutig - das Machen und das Gemachte. Bildung gelingt nur im Dialog - z.B. zwischen Arzt und Patient, Eltern und Kindern, Bildung ist Ergebnis und Prozeß zugleich, die ständige Bewegung, die zu uns gehört, das offene und endlose Werden, der niemals abgeschlossene Vorgang des Lernen und Forschens (als romantische Idee der Universität). Bildung ist wie Information, die ja als etwas verstanden werden kann, das Information erzeugt. Bildung ist, was Bildung erzeugt - im Dialog.
Bildung ist zum zweiten als körperlicher und als geistiger Vorgang doppelt. Wir bilden uns im Mutterleib und in der Schule oder im Leben. Bildung von der Eizelle über den Embryo bis zum Fötus, Bildung über das Kind und den Teenager zum Professor.
Wenn wir heranwachsen, bildet uns die Natur, wenn wir erwachsen sind, bilden wir die Natur. Die Natur bildet uns, wir bilden die Natur, erneut in einem Prozeß. Genauer kann man sagen, daß die Gene uns bilden und wir die Gene bilden. Wir entstehen durch ihre Aktivität, und wir erfinden sie - als Idee und als Doppelhelix. Wir verstehen die Gene und konstruieren sie; damit verändern wir das Leben. Das Leben verändert aber auch die Gene. Einige entstehen erst im Laufe des individuellen Lebens. Wenn wir heranwachsen, wenn wir gebildet werden, bilden (formen) sich einige Gene konkret um - sie entstehen erst. Gemeint sind die Gene des Immunsystems, mit denen wir auf die Welt reagieren.
Alles ist in Bewegung; alles ist Bewegung (also Evolution); alles ist Bildung, alles drängt zur Gestaltwerdung und zum Schaffen, und dabei fallen uns besonders kreative Bildungen auf. Bildung mach Kreativität - Neubildung - möglich. Was ist kreativ? Was ist schöpferisch? Woher kommt das Geschaffene? Von Innen!!
Was ist Kreativität? Wir erkennen Kreativität mit Hilfe der Sinne, wenn wir sie wahrnehmen - also ästhetisch. Trotzdem die Frage: Kann die Naturwissenschaft dazu etwas sagen und Kreativität erklären? Und wie unterscheidet man in der Wissenschaft das Genie vom Idioten, die doch beide im Normalfall nicht verstanden werden?
Kreativität hat mit dem Hervorbringen von Neuem zu tun, das kann vor allem die Evolution, die neue Formen für neue Arten schafft. Organismen sind Kunstwerke der Natur; sie sind schön, weshalb wir sie begehren. Wir sollen und wollen und können sie lieben. Das muß aus den Genen kommen.
Mit der Idee „Kreativität“ lassen sich Gene besser verstehen als mit der Vorstellung eines genetischen Programms. Was Gene tun, ist die kreative Umsetzung eines Plans (der Idee im Genom) mit sensorischer (molekularer) Rückmeldung an die Gene. Genetische Entwicklung als Kreativität der Gene - kreative Umsetzung eines Plans zur Bildung von Formen (Gestaltung). Wissenschaft kann das Leben (seine Entwicklung) nicht allein kausal verstehen; sie benötigt Formfaktoren und Gestaltungsregeln.
Die Kreativität der Gene kommt von innen. Die Kreativität des Gehirns auch. Wir verstehen von innen heraus; wir locken mit den Wahrnehmungen und Begriffen und dem Denken die inneren Bilder hervor, die wir alle gemeinsam haben als das kollektive Unbewußte (modernisierter Platonismus). Unser Wissen entspringt der Nachtseite, die uns Vorgaben machen kann (Zeitgeist). Erkennen heißt, innere Bilder mit äußeren Wahrnehmungen zur Deckung bringen. (Auf der Ebene der Gene ist das der Prozess der Anpassung; die Gene enthalten „innere Bilder“, die auf äußere Bedingungen reagieren können und schon reagiert haben - sie wurden von ihnen geformt.) Wir verfügen über einen Schatz von unbewußt wirkenden Bildern, an die wir herankommen wollen. Wenn es gelingt, leuchtet unsere Seele. Wir sind kreativ.
Das ist die Methode jeder Wissenschaft - an die inneren Bilder herankommen. Dies ist auch die Aufgabe der Vermittlung von Wissenschaft. Jeder hat die inneren Bilder (kann kreativ sein), aber jeder braucht eine andere Hinführung bzw. einen anderen Zugang (mit unterschiedlichen Symbolen). Jeder versteht mit Symbolen - der Mathematiker mit mathematischen, der Chemiker mit chemischen usw. Und der Laie - mit denen der Kunst? Kreative Kunst (Picasso) kann kreative Wissenschaft (Einstein) sehr wohl anschaulich machen. Wir müssen die richtigen Symbole für jeden finden. Vielleicht ist das die beste Bildung des Menschen. Ein Symbol fügt ja zwei Dinge zusammen - auf diesen Dialog kommt es an. Er ist die wahre Bildung der Menschen.
 
 
© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
Redaktion: Frank Becker