Auf Schusters Rappen

Wuppertaler Meinung und Dialog

von Lothar Leuschen​

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Auf Schusters Rappen
 
Wuppertaler Meinung Und Dialog
 
Von Lothar Leuschen
 
Wenn es nicht so traurig wäre, dann wäre es zum Lachen. Ist es aber nicht. Während es überall und in allen Ecken zu brennen scheint, ist irgendwer in der Bundesregierung auf die Idee gekommen, Zu-Fuß-Gehen zu propagieren. Die sogenannte Ampel will, daß die Bundesbürger zur Fortbewegung mehr auf Schusters Rappen setzen. Das schaffe Platz in den Städten, weil ja dann weniger Autos unterwegs seien, und für die Umwelt sei es obendrein gut. An diesen Argumenten ist freilich nicht zu rütteln. Und dennoch ist die Frage erlaubt, wo Menschen denken lassen, die solche Initiativen starten, ein paar Millionen Euro für den Bau von Fußgängerüberwegen in Aussicht stellen und denken, sie hätten das Rad neu erfunden, weil es nicht mehr rollt, sondern die Form einer Schuhsohle hat.
 
Der geneigte oder verhinderte Fußgänger wird sich beim Anblick der Realität beispielsweise in Wuppertal fragen, wann solche Mandatsträger das letzte Mal nicht vergünstigt mit dem Zug gefahren oder geflogen sind, wann derlei Politiker sich das letzte Mal herabgelassen haben, durch irgendeine Stadt in Deutschland zu gehen, die nicht in Baden-Württemberg, Hessen oder Bayern liegt. In allen anderen Bundesländern sind die Kassen fast aller Kommunen nämlich so leer, daß Rad- oder Gehwegpflege ganz offensichtlich längst dem Rotstift zum Opfer gefallen sind. Wuppertal ist da bei Weitem kein Sonderfall. So wie es hier auf den Bürgersteigen aussieht, sieht es vielerorts auch aus - Müll, Glassplitter, Zigarettenkippen und natürlich die Hinterlassenschaften von Vierbeinern, deren Zweibeiner zu faul sind, Rücksicht auf die Mitbürger zu nehmen. Daran hat sich seit Jahren nichts geändert, und es wird auch nicht anders, bis Städte in der Lage sind, Etiketten-Personal einzustellen, das über das Verhalten von Mensch und Tier im öffentlichen Raum wacht. Das ist der Kern des Problems.
 
Politiker, die sich im fernen Berlin darüber Gedanken machen, wie mehr Menschen dazu zu bewegen sind, zu Fuß zu gehen, sind gelinde gesagt weltfremd. Wahrscheinlich haben sie das durchaus gepflegte Regierungsviertel schon länger nicht mehr verlassen oder haben dazu den Fahrdienst des Bundestages bemüht. Wären sie auf Schusters Rappen unterwegs, dann sähen sie beispielsweise im Stadtteil Friedrichshain, was geschieht, wenn eine öffentliche Verwaltung aus Kostengründen nicht mehr in der Lage ist, wenigstens ab und zu einmal durchzuwischen. Entsprechungen gibt es auch in Wuppertal, beispielsweise in Oberbarmen, aber auch in Vohwinkel oder Elberfeld.
 
Wer in Berlin im Bundestag oder in der Bundesregierung sitzt und will, daß die Menschen sich in den Städten Deutschlands gern auch zu Fuß bewegen, der muß die Städte in die Lage versetzen, regelmäßig sauber zu machen sowie Fehlverhalten ermitteln und sanktionieren zu können. Dazu braucht es eine Gemeindefinanzierungsreform, die dafür sorgt, daß das Geld für den täglichen Bedarf dahin fließt, wohin es gehört – in die Städte und Gemeinden. Davon ist beim Vorstoß für mehr Fußgänger allerdings leider gar nichts zu lesen. Und wenn das anders wäre, gäbe es sogar Investitionen, die weit wichtiger sind – Schulbau und Gebäudesanierung beispielsweise, mehr öffentlich geförderte Wohnungen, mehr Geld für die Integration von Zuwanderern.
 
Also spricht rein gar nichts dafür, daß in absehbarer Zeit mehr Menschen in Hagen, Köln oder in Wuppertal der durchaus guten und sicher gesunden Idee folgen, das Auto auch einmal stehen zu lassen. Davon gehen weder die Welt noch Wuppertal unter. Aber es entlarvt Politik und Politiker, die mit dem Alltag der Menschen anscheinend nicht mehr viel zu tun haben.
 
 
Der Kommentar erschien am 13. Juli in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.