Zur falschen Zeit

Hamas-Chef Ismail Hanija im Iran getötet

von Lothar Leuschen​

Foto: WZ
Zur falschen Zeit
 
Hamas-Chef Ismail Hanija im Iran getötet
 
Von Lothar Leuschen
 
Es ist sehr wahrscheinlich, daß Ismail Hanija sich nicht mitten in der Nacht an einer Fischgräte verschluckt hat und erstickte. Vielmehr liegt nahe, daß Israel einen der wichtigsten Kriminellen in der Terrororganisation Hamas liquidiert hat. Daß als Tatort ausgerechnet Teheran ausgewählt wurde, wo der Terrorist sich zur Amtseinführung des neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian aufgehalten hatte, gibt der gesamten Aktion eine noch bittere Note, sollte sich herausstellen, daß tatsächlich der Mossad hinter dem Attentat steckt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, zumal annähernd gleichzeitig ein hochrangiges Mitglied der Hisbollah-Miliz im Libanon ums Leben gekommen war. Auch hier spricht einiges dafür, daß Israel den Mann auf seiner Todesliste hat. Im Verteidigungskampf gegen die radikalislamischen Kräfte im Nahen Osten kann es sich der jüdische Staat nicht leisten, zimperlich zu sein bei der Wahl seiner Waffen und Methoden. Die einzige Demokratie in der gesamten Region wird von allen Seiten bedroht. Die Lage ist noch schwieriger geworden, seit die Türkei und deren Präsident Recep Tayyip Erdogan Israel mit Intervention drohen.

Aber auch deshalb kann sich der Anschlag auf den Hamas-Terroristen in Teheran noch als Fehler erweisen. Mutmaßlich hat Israel in einem fremden Land zugeschlagen, das offiziell nicht am Krieg um den Gazastreifen beteiligt ist. Tatsächlich weiß ein jeder, daß Iran die Hamas mit Waffen unterstützt, aber Kriegspartei ist das islamistische Land bisher nicht. Das könnte sich nun dadurch ändern, daß der Iran förmlich gezwungen ist, auf das Attentat auf Ismail Hanija zu reagieren. Macht Teheran das nicht, verliert das Mullah-Regime zumindest gegenüber den radikalen Islamisten in der Region sein Gesicht. Dabei ist die Aktion Israels zur Unzeit gekommen. Denn das iranische Volk hat gerade einen neuen Präsidenten gewählt. Und Massud Peseschkian gewann die Wahl überraschend. Er gilt, gemessen an seinem bei einem Flugzeugsturz ums Leben gekommenen Vorgänger, als gemäßigt und gesprächsbereit. Das könnte sich in der Nacht zu Mittwoch grundlegend geändert haben, zum Nachteil Israels und des gesamten Nahen Ostens.
 
 
Der Kommentar erschien am 1. August in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
 
Redaktion: Frank Becker