Moralischer Sieger

Der Gefangenenaustausch mit Rußland


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Moralischer Sieger
 
Der Gefangenenaustausch mit Rußland
 
Von Lothar Leuschen
 
Deutschland hat einen hohen Preis bezahlt im Geschäft mit dem Gefangenen. Daß die Bundesrepublik einen russischen Auftragskiller auf freien Fuß setzt, ist eine dramatische Entscheidung. Und Außenministerin Annalena Baerbock hat nach ihrer und der Zustimmung des Kanzlers zu Recht von einem Dilemma gesprochen. Einem Schwerstkriminellen die Zellentür zu öffnen, um im Gegenzug völlig unbescholtene Menschen aus russischen Gefängnissen zu befreien, klingt zunächst nach einem sehr schlechten Geschäft. Und bei Licht betrachtet, ist es das auch. Aber es ist ohne Alternative. Letztlich hatte die Bundesrepublik Deutschland gar keine andere Wahl. Die Entscheidung von Baerbock und Scholz verdient dennoch Respekt, weil sie offensichtlich auf Augenhöhe mit dem Motor des Verfahrens getroffen worden ist. Der steht in Amerika und läuft auf Wahlkampftouren. Deshalb war der Gefangenenaustausch auch für die Vereinigten Staaten von Amerika alternativlos. Präsident Joe Biden hatte keine andere Wahl, als den mit größter Wahrscheinlichkeit absolut unbescholtenen Journalisten Evan Gershkovich aus den Fängen Wladimir Putins zu befreien. In den USA ist ein Held, wer vom Feind an Leib und Leben bedroht wird. Biden ist natürlich Amerikaner genug, um das zu wissen und die Konsequenzen daraus zu ziehen.
 
Und Wladimir Putin ist gerissen genug, zu wissen, daß er loyale Komplizen nicht im Stich lassen darf, wenn nicht andere Komplizen sich gegen ihn wenden sollen. Deshalb hat der Oberkriminelle im Kreml diesen Gefangenenaustausch vermutlich von langer Hand vorbereitet. Es ist auch im dritten Jahr des Krieges gegen die Ukraine und mittelbar gegen den Westen noch ein Leichtes, in Rußland Westbürger einzusammeln, zu inhaftieren und zu bedrohen. Putin weiß, daß demokratische Gesellschaften grundsätzlich zu Humanität neigen und bereit sind, Ungerechtigkeit mithilfe vor allem diplomatischer Mittel auszugleichen – und sei der Preis auch noch so hoch. Diesmal ist vor allem Deutschland an seine Grenzen gegangen. Es setzte seine Souveränität gegenüber den USA und gegenüber Putin aufs Spiel – und hat moralisch gewonnen.
 
 
Der Kommentar erschien am 3. August in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.