Der lange Arm des Iran
Liv Jensens zweiter Fall
Es geht Liv Jensen nicht gut. Die Privatdetektivin ist pleite, kann ihre Miete nicht bezahlen, leidet an unerklärlichen Fieberschüben – und hätte nichts lieber als ihre Stelle bei der Kriminalpolizei wiederzubekommen, die sie aus sehr persönlichen Gründen selbst gekündigt hatte. Und doch läßt ihr Ermittlungseifer sie nicht ruhen, als ihr alter Mentor und Freund Petter Bohm von der Kopenhagener Polizei ihren Rat sucht. Der Exil-Iraner Tami Ansari ist bei einem Camping-Ausflug auf der jütländischen Insel Vorsø in seinem Zelt durch einen Kehlenschnitt regelrecht hingerichtet worden, seine beiden Kinder Shirin (14) und Cyrus (17) sind verschwunden, offenbar entführt. Die wenigen Indizien weisen auf Iraner als Täter hin.
Livs stößt bei ihren Ermittlungen, bei denen sie weit über das von Petter gesteckte Ziel hinaus schießt auf Spuren, die ins Jahr 1990 und ins Flüchtlingsauffanglager von Sandholm führen. Dort wurde damals in einer Gruppe von Iranern offensichtlich ein Verbrechen verübt, das einen Zusammenhang mit der Bespitzelung von Asylbewerbern im Lager durch regimetreue Iraner zu sehen ist. Liv erkennt einen Sumpf von Verrat, Folter und Mord.
Katrine Engberg lenkt in ihrem ebenso interessanten wie spannenden Roman die Aufmerksamkeit auf die Flüchtlings- und Integrationsproblematik, unter der Dänemark ebenso wie Deutschland zu leiden hat sowie auf den langen Arm des iranischen Unrechtsregimes, dessen Geheimdienst die Verfolgung von Gegnern bis ins weit entfernte Ausland betreibt.
Die Fragen wo Shirn geblieben ist, was aus Cyrus wurde und wer Milad Kharazmi ist, dessen Name bei den Ermittlungen eine immer zentralere Rolle einnimmt, treiben Liv um, die sich plötzlich selbst im Visier des iranischen Geheimdienstes und einer Kopenhagener Drogenbande sieht. Verdächtig macht sich auch der Naturschützer Lars Rørdam, der allein auf der Insel Vorsø haust und etwas mitbekommen haben könnte. Shirin ist zwar bald gefunden, sie hatte sich auf dem Boot von Nima Ansari, einem entfernten Vetter versteckt, der in Livs Nachbarschaft eine Autowerkstatt betreibt und von nun an Liv bei der Suche nach Cyrus unterstützt. Aber die anderen Rätsel bleiben eine harte Nuß – und ein weiteres Verbrechen kommt ans Licht. Katrine Engberg hat zu ihrer alten Form zurückgefunden und erzählt die Geschichte mit geschickt eingebauten Rückblenden und unerwarteten raffinierten eingesetzten Wendungen so fesselnd, daß man unbedingt dranbleiben will, um die Spannung auszukosten. Sie läßt das Buch mit einem Cliffhanger enden, der unweigerlich nach einem weiteren Fall für Liv verlangt und sie vielleicht doch wieder in den Polizeidienst zurückkehren läßt.
Ein auch recht ordentlich übersetzter Roman, bei dessen Übertragung ins Deutsche scheinbar künstliche Intelligenz (KI) mitgewirkt hat, denn anders kann man sich die die Übersetzung von z.B. „Betjent“ (Beamter) in „Bediensteter“ oder „Sommerfugl“ (Schmetterling) in „Sommervogel“ nicht erklären.
Katrin Engberg – „Aschezeichen“
Die Wunden der Schuld
(Liv-Jensen-Reihe 2) – aus dem Dänischen übersetzt von Hanne Hammer
© 2024 Piper Verlag, 432 Seiten, Klappenbroschur - ISBN 978-3-492-06512-2
€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Weitere Informationen: https://www.piper.de/buecher/aschezeichen-isbn-978-3-492-06512-2
Katrine Engberg mit »Aschezeichen« auf Lesereise in Deutschland:
05. November 2024 // Literaturhaus Nürnberg, Moderation: Dirk Kruse
06. November 2024 // Lünebuch in Lüneburg, Moderation: Vanida Karun
07. November 2024 // Mord am Hellweg, Lohnhalle in Ahlen, Moderation: Günter Keil
08. November 2024 // Mord am Hellweg, Rohrmeisterei in Schwerte, Moderation: Günter Keil
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