Was ist Energie?
Zurück zum Licht, das sich als eine besonders bewegliche und oftmals sichtbare Form von Energie auszeichnet. Die Strahlen von Sonnen oder Glühbirnen beginnen ihre Reise mit der Energie von Atomen und geben sie zuletzt entweder wieder an Atome oder Moleküle ab. Dabei bleibt es überraschend schwierig, zu sagen, was die wirksame Energie genau ist. Maschinen benötigen sie, um die Arbeiten zu verrichten, die ihre Konstrukteure und die Gesellschaft von ihnen erledigt haben wollen, und Menschen benötigen Energie, um ihr Leben zu führen und in ihm tätig zu werden, zum Beispiel um morgens aus dem Bett zu kommen und zur Arbeit zu gehen. Das Wort «Energie» stammt von Aristoteles, der mit dem griechischen «energeia» dem in Dingen und Personen schlummernden Vermögen einen Namen geben wollte, mit dessen Hilfe aus den vielen verfügbaren Möglichleiten die angestrebte und erlebte Wirklichkeit werden kann, die den Alltag ausmacht und in der sich das Leben abspielt. Wer etwa an seinem Schreibtisch sitzt, hat die Möglichkeit, aufzustehen und loszugehen. Aber um in den Zustand der Bewegung zu geraten, muß er oder sie dies erst wollen - psychische Energie einsetzen - und dann konkret ausführen - physische Energie einsetzen -, wie niemandem gesagt zu werden braucht und von allen täglich erfahren wird.
Im 19. Jahrhundert haben die Physiker den nicht nur erstaunlichen, sondern ungeheuren Satz von der Konstanz der Energie formulieren können. Dieser besagt, daß Energie weder erzeugt noch vernichtet werden kann und als Ganzes immer vorhanden bleibt. Energie gehört damit von Anfang an zur Welt und kann alles antreiben. Sie kann nicht vergehen und sich nur wandeln. Das heißt, daß sie im Laufe der Zeit immer neue Formen annehmen wird und als Wärme-, Kern-, Bewegungs-, Licht-, Lage-, Feld-, Bindungsenergie und was einem sonst noch einfällt in Erscheinung treten kann. Genau das passiert, wenn die Erde und das Leben auf ihr sich im Laufe der Zeit entwickeln. Das Weltgeschehen geht auf allen Ebenen mit ewigen Verwandlungen der Energie einher. Wer die berühmte Frage von Goethes Faust nach dem beantworten will, was die Welt im Innersten zusammenhält, kommt der Wahrheit ziemlich nah, wenn er oder sie darauf schlicht mit «die Energie» antwortet.
Tatsächlich tummeln sich - nach der Auskunft der modernen Physik - ganz tief drinnen keine Teilchen mehr mit ihren noch so winzigen Massen. Im Innersten der Welt brummt es dafür von Energie, die auf ihrem Weg in die Welt versucht, sich in die Masse zu verwandeln, die Menschen zuletzt in ihren Händen halten können, etwa in Form eines Steins. Energie ist das, was aus dem Innersten der Welt heraus die Massen werden läßt, die sich im Außenbereich zeigen und dabei die Wirklichkeit ausmachen. Die Unzerstörbarkeit der Energie zeigt die Unzerstörbarkeit von Möglichkeiten, über deren Ergreifen Menschen streiten und an deren Umsetzung sie scheitern können.
© Ernst Peter Fischer
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
© 2023 C.H. Beck
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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