Vom Licht zum Sehen
Wenn die Sonne scheint, versuchen viele Menschen die üblicherweise als „Weiß“ bezeichnete Farbe ihres Körpers braun werden zu lassen. Braungebrannt möchte man aus dem Urlaub am Meer zurückkehren. Wer wissen will, was biochemisch dazu nötig ist, wird von speziellen Hautzellen erfahren, die den Farbstoff Melanin produzieren und durch ultraviolettes Licht zu dessen Produktion angeregt werden. Melanin, das in sogenannten Melanozyten entsteht, liefert den Sonnenanbetern am Strand einen doppelten Vorteil. Zum einen bekommt ihre Haut den angestrebten Braunton. Und zum Zweiten schützt das Melanin vor dem, was man an den ersten Tagen in der strahlenden Frühlingssonne nach einem düsteren Winter am meisten fürchtet, nämlich einen Sonnenbrand zu bekommen. Tatsächlich kann man das Braunwerden als Schutzmechanismus der Haut deuten, um sich vor eventuellen Schäden zu bewahren, die vom UV-Licht bewirkt werden, wenn es zu intensiv ist oder man sich ihm zu lange aussetzt. Die Schäden zeigen sich nicht nur außen in Form von entzündeter (schmerzlich geröteter) Haut, sie lassen sich auch tief im Inneren der Zellen nachweisen. Dort tritt das Ultraviolette mit der Erbsubstanz DNA in Wechselwirkung und kann unvorteilhafte genetische Veränderungen auslösen, die bis zum Hautkrebs gehen, dessen besonders gefährliche schwarze Ausprägung als Melanom bekannt ist.
So groß die Hautfläche auch ist, die Menschen beim Sonnenbaden braun werden lassen wollen - die für das Leben wichtigen Prozesse löst das Licht in den Augen aus. Wenn Strahlen in das menschliche Sehorgan gelangen, treffen sie nach dem Durchqueren einer Menge von biologisch wichtigen Strukturen erst spät auf die Netzhaut des Auges auf. Erst hier dringen sie in lichtempfindliche Zellen ein, die ihrer Form nach als Stäbchen und Zapfen unterschieden werden. Verfolgen wir den Weg des Lichtes in die Augen! Zuerst geben die Strahlen ihre Energie an eine Reihe von Molekülen ab, die in den genannten Zelltypen auf der Rückseite des Auges zu finden sind und Rhodopsin heißen. Die letzten Silben leiten sich von „opsis“, dem griechischen Wort für Sehen, ab. Da es hier um Farben geht, richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Zapfen. In ihnen finden sich verschiedene Ausgaben von Rhodopsin, die unterschiedlich empfindlich für die Energie des einfallenden Lichtes sind. Bereits vor der Kenntnis der Anatomie des Auges hatte sich die Physik bemüht, die gesamte Vielfalt der Farben aus drei Komponenten zu generieren.
Aber Vorsicht. Die genannte „Dreizahl“ ergibt sich zwar aus dem Aufbau der Netzhaut, aber nachdem das Licht hier eingetroffen ist, muß es weiter ins Gehirn, wenn es bewußtes Sehen werden will. Wendet man sich den ersten Neuronen zu, mit denen die Information über den Lichteinfall im Auge weiter in das Organ unter der Schädeldecke geleitet wird, so findet man, daß die daran beteiligten Ganglienzellen den für das Sehen zuständigen Gehirnregionen neben dem genannten Trio Rot, Grün und Blau noch einen eigenen Kanal für Gelb zuführen. Das wird hier auch deshalb erwähnt, weil prominente Physiologen im 19. Jahrhundert lange Zeit um die Frage gestritten haben, ob Gelb eine Mischfarbe oder als reine Empfindung anzusehen ist, wie man sie dem Rot-Grün-Blau-Terzett zutraute.
Die Antwort fällt nicht eindeutig aus, und die Lage bleibt kompliziert. Denn die drei „Farben“ der genannten Netzhautzellen und die vier „Farben“ der Weiterziehenden Ganglienzellen haben kaum Gemeinsamkeiten. Sie wachen vielmehr eifersüchtig darüber, daß jede ihre eigene optimale Wellenlänge kontrolliert - mit der Folge, daß sich die Frage, wie viele elementare Farben es bei dieser visuellen Wahrnehmung gibt, immer schlechter beantworten läßt, je genauer man hinzuschauen lernt.
Die farbempfindlichen Rhodopsine sind biochemisch gesehen Proteine, was heißt, daß es in den Zellen die dazugehörigen Gene gibt. Inzwischen kann die Wissenschaft dieses genetische Material isolieren und analysieren. Auf diese Weise läßt sich unter anderem nachsehen, wie andere Organismen ihr Sehvermögen auf der Ebene der Gene angelegt und strukturiert haben. Wer wissen will, ob Tiere Farben sehen und wie viele Nuancen (Farbtöne) sie dabei unterscheiden können, braucht keine komplizierten Versuche mehr zu machen, bei denen geprüft wird, ob und wie etwa Affen Rot und Grün unterscheiden können. Mittlerweile schaut man bei den Genen nach und ermittelt, welche für das Farbsehen relevante Erbinformation in welcher Form zu finden ist. Dabei sind einige Überraschungen zutage getreten. Zum Beispiel haben Hunde und Kühe nur zwei Zapfentypen; sie sind rotgrünblind, wie man sagen kann. Rinder können überhaupt keine Farbunterscheidungen treffen, was zu der deprimierenden Einsicht führt, daß das rote Tuch, mit dem ein Torero in der Stierkampfarena herumfuchtelt, eine Schau für das Publikum ist und auch grün oder grau sein könnte. Das rasende Rind reagiert auf die wedelnde Bewegung des Toreros mit dem Tuch. Das führt zu der Frage, warum die zusehenden Menschen in der Arena das Rote lieben und bevorzugen. Vielleicht denken sie dabei voller Vorfreude an das Blut, das fließen soll.
© Ernst Peter Fischer
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
© 2023 C.H. Beck
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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