„Laßt Euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen“

Christiane Turnauer – „Biblische Gesichter Äthiopiens“

von Johannes Vesper

„Laßt Euch als lebendige Steine 
zu einem geistigen Haus aufbauen“
(1. Petrusbrief 2,5):
 
Biblische Gesichter Äthiopiens in Porträts von Christine Turnhauer
 
Die Bundeslade mit den Gesetzestafeln Moses vom Berg Sinai wird in Aksum aufbewahrt. Menelik I., uneheliche Folge des Beischlafs der Königin von Saba mit König Salomon und Begründer der äthiopischen Herrscherdynastie, hat sie bei einem Besuch in Jerusalem mitgehen lassen und an ihren jetzigen Platz gebracht. Salomon nannte diesen Sohn David! Was mit der Bundeslade wirklich los ist, weiß nur der Mönch, der sie in der Kapelle der Heiligen Maria von Zion in Aksum bewacht. Er darf den Heiligen Bezirk nicht verlassen, außer ihm darf keiner hinein. Was also dort aufbewahrt wird, weiß außer ihm niemand. All diese legendären Geschichten sind im äthiopischen Nationalepos Kebra Nagast (Der Ruhm der Könige) überliefert. Dieses Nationalepos stammt aus dem 13. Jahrhundert. Ursprünglich galt Äthiopien, der älteste Staat Afrikas, als das Land Kusch. Auf Kreta wurde das Wort Äthiopien schon im 2. Jahrtausend vor Christus benutzt, bedeutete dort „verbranntes Gesicht“. Im alten Ägypten wurde Äthiopien als das Land Punt bezeichnet, womit wahrscheinlich die gesamte Region des heutigen Nordäthiopiens und des Ostsudans gemeint war. Die griechischen Götter erholten sich nach Homer bei den schwarzgesichtigen Äthiopiern, um Abstand von ihren familiären Streitereien zu gewinnen. Christlich wurde Äthiopien bzw. das Königreich Aksum von Alexandria aus mit der Bekehrung seines damaligen Königs Ezana durch den Missionar Frumentius in der Mitte des 4 Jahrhunderts. Den legendären Brüdern Abreha und Atsbeha, die ebenfalls das Christentum in Äthiopien eingeführt haben sollen, ist eine halbmonolithische Kirche in Tigre geweiht, die heute noch besucht werden kann und möglicherweise aus der Zeit stammt (4. Jahrhundert).
Äthiopien und die Bibel haben also seit Moses, Salomon und der Königin von Saba viel miteinander zu tun. Selbst Weihrauch, in der Bibel ein Luxusgut, wird noch heute in Äthiopien angebaut.
 
Wie Juden in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete rund um den Tana-See gekommen sind, ist unklar, vielleicht schon im Gefolge Meneliks I.. Sie und die Christen haben sich auch in Äthiopien nicht richtig gut verstanden. Sie bekriegten sich (14. und 17. Jahrhundert). Schließlich wurde den Juden (Falascha) Grundbesitz verboten und ihre Lage Ende des 19. Jahrhunderts prekär. Ab 1970 wanderten sie aus bzw. nach Israel ein (Alija-Operationen). Im Essay von Rabbi Menachem Waldman wird die Geschichte der äthiopischen Juden dargestellt. Die ethnische Vielfalt des Landes ist beeindruckend und der Umgang aller dieser Ethnien miteinander durchaus problematisch.
 
Die Geschichte des äthiopisch-christlichen orthodoxen Christentums wird im lesenswertem Essay von Dietmar Wilker dargestellt und die Geschichte des äthiopisch-orthodoxen Kaiserreichs von Prinz Asfa-Wossen Asserate in dem seinigen.
Christine Turnauer startete 1971 als Fotografin in Paris, wanderte 1979 nach Alberta im westlichen Kanada aus, fotografierte nordamerikanische Ureinwohner und Indianer. Nach ihrer Rückkehr nach Europa 1995 bereiste sie fotografierend u.a. Rumänien, Japan, Jerusalem, Indien. Unter dem Titel „Présence“ publizierte sie diese Fotografien bei Hatje Cantz.

Foto © Christiane Turnauer

Mit diesen Poträtstudien hat sie keine Fotoreportage, erst recht keinen touristischen Reiseführer Äthiopiens vorgelegt. Sie hat auf ihrer Reise von Gondar über Lalibela in den Norden Äthiopiens keine Paläste, Landschaften oder Kirchen fotografiert, auch nicht die wunderbaren aus Stein geschnittenen von Lalibela. Sie hat versucht mit Porträts schwarzgesichtiger Menschen die biblische Tradition des Landes abzubilden, was nicht einfach erscheint, auch wenn sie ihre Reise und den Kontakt mit tiefgläubigen Menschen, Falascha-Juden (heute Beta Israel) orthodoxen Christen, Priestern, Mönchen und Nonnen als eine lebende Bibelschule und ein großes mystisches Erlebnis bezeichnet. Tatsächlich hat auch der Rezensent bei seinen Aufenthalten in Äthiopien dörfliche Szenen, Beerdigungen, Begegnungen mit Patienten als biblisch empfunden. Heute sieht man in Äthiopien aber öfter verrostete Panzer am Straßenrand, übrig geblieben von den Kriegen mit Eritrea, und hört von den Kirchen Glocken aus verrosteten Granaten, Geschützteilen und Geschoßhülsen. Die interethnischen Konflikte Äthiopiens gehören seit Jahrhunderten zur Geschichte der Region.
 
Christiane Turnauer – „Biblische Gesichter Äthiopiens“
mit Texten von Asfa Wossen Asserate, Christine Turnauer, Menachim Waldman, Dietmar W. Winken,
© 2024 Kehrer Verlag Heidelberg / Christine Turnauer / Heinrich XII und Autoren, 120 Seiten, Dreiviertel-Leinenband, 26 x 32 cm, 54 SW- Aufnahmen - Deutsche Ausgabe ISBN 978-3-96900-168-4, Englische Ausgabe: ISBN 978-3-96900-160-1, Französische Ausgabe ISBN 978-3-96900-160-7
58,- €

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