Ohne Heim und Heimat

Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ in Düsseldorf

von Andreas Rehnolt

Foto © Thomas Rabsch

Kriegsheimkehrer ohne Heim und Heimat

Im Düsseldorfer Schauspielhaus hatte Wolfgang Borcherts Anti-Kriegsstück
„Draußen vor der Tür“ umjubelte Premiere

Regie Adrian Figueroa -  Bühne Irina Schicketanz -  Kostüm Malena Modéer -  Musik Ketan Bhatti - Video Benjamin Krieg - Mitarbeit Video Elena Tilli -  Licht Konstantin Sonneson -  Dramaturgie David Benjamin Brückel  
 
Besetzung – Beckmann: Raphael Gehrmann - Der Andere: Sonja Beißwenger - Ein Mädchen: Pauline Kästner - Ein Oberst: Florian Lange - Ein Kabarettdirektor: Thiemo Schwarz -  Frau Kramer: Claudia Hübbecker -  Ein Straßenfeger: Markus Danzeisen  
 
Drei Jahre nach der blutigen Schlacht bei Stalingrad im Rußland des Zweiten Weltkriegs kommt der Unteroffizier Beckmann endlich aus der Kriegsgefangenschaft in seine Heimatstadt Hamburg zurück. Keinen Koffer, keine stolze Nazi-Uniform. Heruntergekommen sieht er aus auf der ganz in schwarz gehaltenen Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses, wo das Anti-Kriegsstück „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert (1921-1947) bei der Premiere bejubelt und gefeiert wurde. Zu Recht. Regisseur Adrian Figueroa brachte das Stück des mit 26 Jahren verstorbenen Borchert textgetreu und effektvoll über die Bühne des Großen Hauses.

Das Stück beginnt an der Hamburger Elbe, in die sich Beckmann - müde und lebensmüde - gleich in der ersten Nacht zurück in Hamburg stürzt. Zuvor klagt er sein Leid. In seiner Wohnung lebt seine Frau inzwischen mit einem anderen Mann zusammen, für den Kriegsheimkehrer ist kein Platz mehr. Das gemeinsame Kind ist einige Jahre zuvor bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Beckmann (sehr überzeugend: Raphael Gehrmann) zieht den zerschlissenen Militärmantel enger, greift an seine Gasmaskenbrille und streift mit einer Hand über den kahlgeschorenen Schädel. Nur in der Mitte ist ein wenige Zentimeter hoher Streifen stehen geblieben, wie bei einem Indianer vom Stamm der Irokesen.
Die kurze Eingangsszene wird von einem Sraßenfeger (Markus Danzeisen) beobachtet, der beim Besenschwingen darüber schwadroniert, wer da wohl aus welchen Gründen ins Wasser gehen will und wird. Der Mann dort am Ufer habe wohl alles verloren, „das Bein, das Bett, das Brot“, meint er. Doch der Mann mit der Gasmaskenbrille ertrinkt irgendwie nicht. Noch lebend wird er ans Ufer gespült, „die Elbe spuckt ihn wieder aus“. Ganz naß ist er jetzt und weiß immer noch nicht wohin. Da taucht aus dem schwarzen Nichts „der Andere“ auf. Er ist Beckmanns grandios spielende Spiegelbild (Sonja Beißwenger), ein Alter Ego des Lebensmüden, inklusive des steifen Beins infolge einer Verwundung im Krieg.


Raphael Gehrmann, Sonja Beißwenger - Foto © Thomas Rabsch

Eine junge Frau (Pauline Kästner), geht am Elbufer spazieren. Ganz in weiß gekleidet, fast wie ein rettender Engel beugt sie sich über Beckmann. Nennt ihn einen nassen Fisch und nimmt ihn mit zu sich in ihre kleine Wohnung, die als rechteckiger schwarzer Kasten mit einer riesigen gläsernen Fensterfront aus dem Bühnenboden emporwächst. Doch während er vom Krieg, seinen schrecklichen, allabendlich kommenden Alpträumen erzählen möchte, will sie nur nicht in ihrem Bett alleine schlafen. Und auch hier geht Beckmann fort, fühlt sich fehl am Platz. Der Andere aber rät ihm, zu seinem ehemaligen Oberst zu gehen, der ihm damals im Krieg die Verantwortung für 20 Soldaten übertragen hat, die er als Stoßtrupp in einen Wald führen mußte. Elf von den 20 sind dabei getötet worden und tauchen nun jede Nacht in Beckmanns Alpträumen auf.


Raphael Gehrmann, Pauline Kästner - Foto © Thomas Rabsch

Er solle dem Oberst die Verantwortung für diese elf Männer zurückgeben und die toten Kameraden auch. Dann sei alles wieder in Ordnung, so Beckmanns Spiegelbild, das ihm nicht von der Seite weicht und ihm immer wieder vermeintliche Wege aus der Verzweiflung aufzeigt. Der Oberst läßt ihn ein, erkennt ihn auch, lehnt die Zurückgabe der Verantwortung für die elf Soldaten aber ab und rät ihm, nicht länger zurück, sondern nach vorne zu schauen. Mit seiner gräßlichen Gasmaskenbrille und dem besenartigen Haarschnitt solle er sich mal beim Zirkus oder Kabarett vorstellen, bei dem, was er zu erzählen habe, würden sich die Leute nicht halten können vor Lachen.


Sonja Beißwenger, Florian Lange, Raphael Gehrmann - Foto © Thomas Rabsch

Doch der Kabarett-Direktor (grell-schmierig: Thiemo Schwarz) in knallroter Uniform lehnt Beckmann nach einem Vorsprechen ab. Das sei so schlecht nicht, aber seine Texte müßten noch reifen. „Reifen sie auf dem Schlachtfeld des Lebens, Kunst muß reifen“ wirft er dem Heimkehrer zu. Und als der antwortet, daß das, was er sagt die Wahrheit sei, meint der Kabarett-Direktor schlicht, was denn die Kunst mit der Wahrheit zu tun habe. Die letzte Station auf Beckmanns Reise endlich nicht mehr draußen bleiben zu müssen, ist sein Elternhaus. Die würden ihn nicht abweisen, sagt der Andere eindringlich und malt dem Lebensmüden aus, wie schön dies Wiedersehen sein würde.
Doch eine alte Frau (kalt und herrisch: Claudia Hübbecker) öffnet die Tür nur einen Spalt. Das sei jetzt ihre Wohnung, seine Eltern hätten sich durch Selbstmord ganz „allein entnazifiziert“ und lägen jetzt auf dem nahen Friedhof. Beide hätten den Gashahn aufgedreht und jede Menge davon verbraucht. „Damit hätte man noch einen ganzen Monat kochen können“, so die hagere Frau Krämer weiter. Das gibt Beckmann am Ende des Stücks den Rest. Noch einmal tauchen die einzelnen Vertreter des Nachkriegs-Deutschlands auf, die er getroffen hat und die er abstoßend, häßlich, lästig und überflüssig findet. Man sieht nicht, wie Beckmann stirbt, man hört aber seine eindringliche Frage: „Warum schweigt ihr denn? Gibt denn keiner Antwort? Gibt es keine Antwort?“
 
Das Publikum spart nach knapp zwei Stunden „Draußen vor der Tür“ nicht mit begeistertem, stehenden Applaus. Verdienter, lang anhaltender Beifall sowohl für die Schauspieler, als auch für das Team und den 40 Jahre alten Regisseur Adrian Figueroa und das düster tolle Bühnenbild von Irina Schicketanz. Und natürlich für den einen Tag vor der Uraufführung des Antikriegs-Dramas am 21. November 1947 in Basel verstorbenen Autor Wolfgang Borchert. Am Ende taucht der Straßenfeger noch einmal auf, wundert sich darüber, daß man „die Toten jetzt auch schon auf der Straße findet“.
 

Raphael Gehrmann - Foto © Thomas Rabsch

Dauer 1 Stunde 45 Minuten - keine Pause  

Die nächsten Aufführungen gibt es am 18. und 27 Oktober und am 10. November.

Weitere Informationen: www.dhaus.de