Auf die Mischung kommt es an
Blau entwickelte in den Kulturen eine ungewöhnliche Attraktivität. Die Wissenschaft meldet, daß sich zwar vor 100 000 Jahren Pigmente sowohl aus rotem und gelbem Ocker als auch aus Holzkohle gewinnen ließen, Blau zeigte sich dabei aber nicht. In Babylon und Ägypten konnten Menschen auf den Halbedelstein mit dem Namen Lapislazuli zurückgreifen, aus dem der Farbstoff Ultramarin hervorging, der so heißt, weil seine Quelle von Europa aus gesehen jenseits des Meeres lag. Seit dem frühen Mittelalter werden blaue Pigmente aus Lapislazuli angefertigt. Blaue Glasfenster gehen auf das 12. Jahrhundert zurück, und die Muttergottes bekam anschließend auf den Gemälden einen blauen Rock. Danach begannen erste Könige, sich in blaue Gewänder zu hüllen. Lapislazuli erlaubte es auch, das in der Kunstgeschichte bewunderte Fra-Angelico-Blau anzufertigen, das aus dem tiefblauen Gestein durch Reinigungsverfahren gewonnen wird. Dabei kommt ein Mineral namens Lasurit zustande, das chemisch betrachtet ein Natrium-Aluminium-Silikat darstellt. Das Fra-Angelico-Blau konnte mit Wasser und Leim vermischt werden und öffnete auf diese Weise den Weg zu den Aquarellfarben.
Physikalisch kann man die Schwierigkeit, einen blauen Farbstoff herzustellen, mit dem Hinweis verständlich machen, daß blaues Material rotes Licht absorbieren muß, dessen Energie niedrig ist. Es kann dem Stoff nur wenig abgeben. Dies bedeutet, daß eine blaue Chemikalie eng beieinanderliegende Zustände von Energie aufweisen muß, um das Licht einzufangen, dessen Fehlen ihr die blaue Farbe gibt. Solche Chemikalien lassen sich weder einfach finden noch herstellen. Auch als Farbe von Blumen kommt das Blau kaum vor. Der synthetische Farbton, der Berliner Blau oder Preußisch Blau heißt und heute in jeder Farbpalette enthalten ist, wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts von dem Chemiker Johann Jacob Diesbach eher zufällig gefunden, als er sich mit der Möglichkeit beschäftigte, das Karminrot im Reagenzglas herzustellen, das sonst aus Schildläusen extrahiert werden mußte. Als Diesbach einmal Pottasche auf ein Destillat aus tierischen Gemischen tropfte, leuchtete die Brühe nicht rot, wie erwartet, sondern strahlte blau. Mit Hilfe von Menschen mit einem Händchen für das Kommerzielle wurde das Berliner Blau danach in Gold verwandelt.
Als erstes großes Werk, bei dem die neue Farbe zum Einsatz kam, nennt die Kunstgeschichte Die Grablegung Christi, die der Niederländer Pieter van der Werff 1709 gemalt hat. Am blauen Himmel ziehen weiße Wolken dahin, während der blaue Schleier leuchtet, der das helle Gesicht der Jungfrau verdunkelt. Nach diesem chemischen und ästhetischen Erfolg stieg Blau zur Farbe des allgemeinen Fortschritts auf, der sich forthin vor allem in den Naturwissenschaften vollzog. Aber er ist auch in die Kul~ turgeschichte eingegangen: in die blaue Blume der Romantik etwa oder in den Namen der Künstlervereinigung um Wassily Kandinsky und Franz Marc, die sich spaßhaft Der Blaue Reiter nannte.
An dieser Stelle ist es nötig, auf einen Unterschied bei den Farben einzugehen, der im Laufe der Kunst- und Wissenschaftsgeschichte gerne übersehen oder übergangen worden ist. Wenn man «Farbe» sagt, kann man entweder das Licht meinen, das diesen Eindruck in einem optisch wahrnehmenden Menschen hervorruft, oder man redet von einem Stoff, der sich als Wasser- oder Ölfarbe auf eine Leinwand bringen läßt oder mit dem man Stoffe und anderes Material bunt färben kann. Der Unterschied wird wichtig, wenn man Farbmischungen betrachtet. Überlagert man Lichtstrahlen, addieren sich deren Farben, wie man sagt. Konkret heißt das, daß Grün und Rot zu Gelb und Grün und Rot und Blau zu Weiß werden. Ein Stoff bekommt seine Farbe, wenn es dem auf ihn fallenden Licht eine Komponente abnimmt und behält, was bedeutet, daß sich Malfarben nicht additiv wie Licht, sondern subtraktiv mischen. Grün und Rot und Blau ergeben dann nicht Weiß, sondern werden im Gegenteil Schwarz. Sie haben alle Farben aus dem Licht herausgefiltert.
© Ernst Peter Fischer
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
© 2023 C.H. Beck
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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