Sie ist ein herrliches Weib
„Heute Abend: Lola Blau“
Inszenierung: Ralf Budde – Musikalische Leitung: Stefan Hüfner – Bühne: Jan Bauerdick – Kostüme: Maya Fichtel – Maske: Elke Quirmbach
Lola Blau: Miriam Kraft – Klavier: Stefan Hüfner
Als Georg Kreisler (1922-2011) im Jahr 1971 sein Ein-Personen-Stück für eine Dame und einen Pianisten „Heute Abend: Lola Blau“ mit seiner Ehefrau Topsy Küppers als Lola auf die Bühne brachte, war an Miriam Kraft noch nicht zu denken. Ich werde jedoch – und vermutlich auch die übrigen Zuschauer dieses denkwürdigen Premierenabends am vergangenen Sonnabend im Wuppertaler TiC-Theater – künftig die Lieder daraus nicht mehr ohne einen Gedanken an Miriam Kraft hören können.
Der Plot des Stücks ist schnell erzählt. 1938: Österreich hat sich Nazi-Deutschland angeschlossen, ist „heim ins Reich“ gekehrt. Eine junge Wiener Bühnenkünstlerin, die Jüdin Lola Blau freut sich auf ihr erstes Engagement. Ihre Familie und ihr Freund Leo fliehen derweil ins Ausland, während sie blauäugig nach Linz reist, wo sie schon bald verfemt wird und in die Schweiz geht. Nach nur kurzer Zeit dort am Cabaret ergeht es ihr wie dem begnadeten Tenor Joseph Schmidt (1904-1942), sie wird von den Schweizer Behörden schroff des Landes verwiesen. Während der herzkranke Schmidt wegen verweigerter ärztlicher Behandlung in der Schweiz stirbt, gelangt Lola Blau dank eines Visums in die USA, wo sie Karriere macht und berühmt wird. Jahre Später – Leo hat überlebt – kehrt sie nach Wien zurück. Georg Kreisler selbst erlebte ein ähnliches Schicksal, man kann in Lola Blau also durchaus ein alter ego Kreislers sehen.
Georg Kreisler schreibt dazu: „Es ist die Geschichte einer Ohnmacht. Lola steht dem Antisemitismus ebenso ratlos ohnmächtig gegenüber wie dem eigenen Judentum. Sie ist ohnmächtig gegen die sturen Schweizer, wütet ohnmächtig gegen die Sex-Karriere in Amerika, und zum Schluß ist sie wieder ohnmächtig gegen die österreichischen Ewig-Gestrigen. Sie will eigentlich nichts als ein bißchen tanzen und singen und ihrem Publikum Freude machen. Aber sie muß einsehen, daß es nichts nützt, nur einen kleinen bescheidenen Platz an der Sonne erhaschen zu wollen. Jeder Mensch muß vor allem versuchen, die Hindernisse, die die Sonne verstellen, für sich und seine Mitmenschen aus dem Weg zu räumen.“ Und an anderer Stelle über die Entstehung: „… `Heute Abend: Lola Blau´ das Topsy Küppers mehr für mich geschrieben hat als ich für sie, demonstriert in fast jeder Szene die Notwendigkeit menschlichen Zusammenlebens, die Unsinnigkeit von Lob und Tadel.“
Übrigens: Wen Georg Kreisler die Nummer „Sie ist ein herrliches Weib“ vortrug, strahlte er selbst vor Vergnügen und rutschte fast immer sogleich ins jiddeln: „Se is a herrliches Waib“.
Miriam Kraft zeigt sich während des ganzen Abends, an dem sie kongenial live von Prof. Stefan Hüfner am Klavier (und einmal zusätzlich am Kazoo) begleitet wird, in nicht zu überbietender Form. Stimmlich eine Offenbarung in Ausdruck, Timbre, Artikulation und Volumen, ohne den geringsten Verlust über die gesamte Zeit des gut zweistündigen Spiels, das sie souverän trägt. Sie präsentiert die zum Teil schon topisch gewordenen Nummern wie „Die Wahrheit vertragen sie nicht“, „Der zweitälteste Frauenberuf“, „Sex is a wonderful habit“, „Heut wird´ ich mich besaufen“, „Ich hab dich zu vergessen vergessen“ und allen voran „Sie ist ein herrliches Weib“ der `71er Uraufführung angemessen auf Augenhöhe, also perfekt. Auch als ausgezeichnete Scatterin erweist sie sich in zwei der anspruchsvollen Nummern. Ebenso perfekt bedient Stefan Hüfner, der seinen Kreisler eingesogen hat und ihm würdig Klang gibt, das Klavier. Küppers wie Kreisler und auch Kreislers spätere Ehefrau Barbara Peters habe ich mehrfach erleben können und darf mir dieses Lob aus persönlicher Erfahrung erlauben.
Dann ist da aber auch noch die äußerst wandelbare Schauspielerin Miriam Kraft, die im Spiel, im gesprochenen Zwischentext und der Bewegung im schnellen Szenenablauf auf der einfachen, aber wirkungsvollen Bühne à la bonne heure agiert. Pures Vergnügen, ihr zuzusehen, ihre Mimik zu verfolgen, ihre Stimmungswechsel in diesem durchaus dramatischen Stück in der eleganten Inszenierung von Ralf Budde (auch am Verfolger) zu erleben. Um es mit Kreisler zu sagen: „Sie ist ein herrliches Weib“.
Hier bekommt man bestes Cabaret, Kabarett, Theater. Wer es nicht erlebt versäumt etwas. Etwas Wichtiges. Denn solch grandiose Aufführungen sind selten. Die gut zehn Minuten währenden, höchst berechtigten stehenden Ovationen für Miriam Kraft und Stefan Hüfner sind Zeugnis für das brillante Gelingen dieses außerordentlichen Abends im Sinne Georg Kreislers. Meine Begleitung und ich sind wahrhaft beseelt und allerbestens unterhalten nach Hause geschwebt.
Das TiC-Theater ist gut beraten, ein waches Auge auf Miriam Kraft zu haben, um zu verhindern, daß ein großes Revue-Theater ihm dieses unerhörte Talent abwirbt.
Die Musenblätter geben dieser Inszenierung (alles inklusive) ihr Prädikat, den Musenkuß* mit Sternchen.
Die Nummern: 1 Im Theater ist was los 2 Sie war lieb 3 Sympathie 4 Die Wahrheit vertragen sie nicht 5 Weder - noch 6 Wie kommt es 7 Der zweitälteste Frauenberuf 8 I hab a Mädele 9 Sie ist ein herrliches Weib – Pause – 10 Sex is a wonderful habit 11 Der Herr ist mir fremd 12 Einlage-Nummer 13 Heut werd ich mich besaufen 14 Ich hab dich zu vergessen vergessen 15 Ich liebe dich 16 Frau Schmidt 17 Alte Tränen 18 Im Theater ist nichts los 19 Wo sind die Zeiten dahin 20 Zu leise für mich
Weitere Informationen und Aufführungstermine: www.tic-theater.de
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