Evolutionslücke geschlossen!

Thomas Gsella – „Hereimspaziert“

von Frank Becker

Titelzeichnung: Rudi Hurzlmeier
Evolutionslücke geschlossen!
 
Ein- und Ansichten eines Dichters
 
Keine Frage
 
Ich schreibe eine Zeile hin
Und warte auf den Reim.
Und zieht sich’s eine Weile hin,
Dann lass ich’s wieder bleim.
 
Dann dusch ich oder koch etwas
Aus Möhren, Haferschleim,
Zucchini, Zimt und noch etwas,
Das fällt mir grad nicht eim.
 
Mein Hirn ist oft nicht super hell.
Als wär niemand daheim!
Doch schreiben kann ich super, gell.
Vor allem Reime schreim.
 
 
Wie fühlt und was der Dichter Thomas Gsella im Umgang mit dem Alltag, mit Kollegen, dem Wetter und den Jahreszeiten? Wie geht er mit seiner persönlichen Geschichte, seiner Herkunft, seiner Familie, der Studentenschwemme, raffgierigen Vorständen von Bahn und Post um? Was hält er von den Höckes, Weidels, bunten Koalitionären im Land, einem Cum-Ex-Kanzler, von Journalisten, der rücksichtslosen „liberalen“ Verkehrspolitik und einer politischen Klassen-Justiz, die kein wahres Recht mehr spricht, sondern lieber Top-Managern Rabatte gibt (man könnte ja nach dem vergeigten Ministeramt einen gut geschmierten Aufsichtsrat-Posten bekommen)? Da und anderenorts nennt er gerne Namen. Und offen gesagt – mit wären die nämlichen bei jeder Schelte ebenfalls aus der Feder gespritzt.
 
Wir erfahren all das, wenn wir Thomas Gsellas neues Buch lesen, in dem er Ihnen und mir in seinen Kopf zu schauen erlaubt, ein Fenster zu einem in kluge Reime gefaßten Blick in seine Seele öffnet, was beileibe bei allem Humor nicht immer lustig ist, wenn auch die gepflegte Satire bei den meisten der knapp 200 auf 254 Seiten gesammelten Gedichte die wesentliche Rolle spielt. Da stehen das Loblied auf den Flaschenöffner, die Häme gegen aufdringliche Dichter-Kollegen, eine Kritik am Orgasmus und ein Scherz über die Relativität der Zeit unmittelbar neben der bitteren Klage über den schuldlosen Verkehrstod von Schwester und Nichte, nebst Schmäh über einen nichts sagenden (neue Rechtschreibung) bzw. nichtssagenden (bewährte alte Rechtschreibung) Olaf Scholz und im Versmaß vorgetragener Verachtung für die Protagonisten der neuen Rechten.
Da mischen sich Tucholskysche Gedanken mit Erhardtschem Hintersinn, läuten Morgenstern, Bernstein, Gernhardt am Lieferanteneingang - und Greve winkt aus der Ferne. Lustig zieht er über „Spielerfrauen“ her, gendert mit dem elften Gebot und zeigt in allen seinen Texten, daß er sich auf Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung im besten Grabbeschen Sinne versteht.
 
                                                          An meine Schriftstellerfreunde
                                                          
                                                          Schicken Brückenbauer Brücken
                                                          An befreundete Kollegen?
                                                          Nehmen Priester mit Entzücken
                                                          Ihrer Priesterfreunde Segen?
                                                          Hängen Fischer ihre Fische
                                                          Andern Fischern um den Hals?
                                                          Drängen Tischler ihre Tische
                                                          Andern Tischlern auf? Niemals!
                                                          Kippen Bauern ihren Käse
                                                          Vor des andern Bauern Haus? -
                                                          
                                                          Warum glaubt ihr dann, ich läse
                                                          Euren ganzen Käse aus?
                                                          Bitte, Freunde, lasst es bleiben!
                                                          Schickt mir keine Bücher mehr,
                                                          Denn ich möchte welche schreiben.
                                                          Lieben Gruß! Und: danke sehr.
 
 
„Hereimspaziert“ hat Weisheit, Tiefe und großen (gelegentlich verzweifelten) Humor – weshalb es von den Musenblättern wärmstens empfohlen sowie dankbar mit unserem Prädikat, dem Musenkuß belohnt wird.
 
Thomas Gsella – „Hereimspaziert“
Neue komische Gedichte
Mit einem Vorwort von Max Uthoff
© 2024 Verlag Antje Kunstmann, 254 Seiten, gebunden, illustrierter Schutzumschlag - ISBN: 978-3-95614-603-9
22,00 € (D)
 
Weitere Informationen: www.kunstmann.de