Exoten
Bislang ging es um Wolken, Planeten und Sterne am Himmel, die allen Menschen vertraut sind. Die Gemeinde der Wissenschaftler hat inzwischen längst andere Objekte oder Erscheinungen ausmachen und in den Blick nehmen können. Die Medien berichten darüber oft unter dem Hinweis, daß man sie mit dem bloßen Auge nicht sehen kann und besondere Instrumente benötigt, um die kosmischen Radiowellen zu registrieren, die etwa von Pulsaren und Quasaren zur Erde kommen. Das Kunstwort «Pulsar» kürzt «pulsating source of radio emission» ab, meint also eine pulsierende Radioquelle, die in den 1960er Jahren erstmals beobachtet wurde. Dabei hat sich erneut eine Frau hervorgetan, nämlich Jocelyn Bell Burnell, die wie Henrietta Levitt ebenfalls nicht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Als Jocelyn Bell ihre Beobachtungen machte, die heute als Signale von Pulsaren verstanden werden, unterbrach sie ihre wissenschaftliche Arbeit, um zu heiraten. Als sie später in das Institut zurückkehrte, meinte ihr Chef, er habe die Ergebnisse in einer Publikation zusammengestellt, ohne ihren Namen aufzuführen. Als verheiratete Frau sei sie doch nicht weiter an einer wissenschaftlichen Karriere interessiert. Oder? Und so bekam er allein den Nobelpreis für Physik. Vielleicht aber hat die Schwedische Akademie Jocelyn Bell auch den Scherz verübelt, als ersten Grund für das pulsierende Himmelssignal eine eigene extraterrestrische Zivilisation aus «little green men» zu vermuten, was sie als «LGM» in ihre Laborbücher eingetragen hat.
Die Tatsache, daß man in den 1960er Jahren allgemein anfangen konnte, Radioastronomie zu treiben, hat mit der Entwicklung der Radartechnik im Zweiten Weltkrieg zu tun. Das Wort Radar hat sich längst im alltäglichen Sprachgebrauch ein gebürgert, so daß vielen gar nicht bewußt ist, daß es sich um eine Abkürzung handelt - wie auch schon «Radio» von «radius», Strahl, gebildet ist und einen Funkstrahl meinte. «Radar» steht für «radio detection and ranging», was man als «funkgestützte Ortung» übersetzen kann. Während im Weltkrieg damit nach feindlichen Schiffen gesucht wurde, richteten nach 1945 die Ingenieure ihre Instrumente gen Himmel, um dort nach Radioquellen zu suchen. Zu den wichtigen Funden gehörten neben den Pulsaren die Quasare, die als «sternähnliche Radioquellen» ebenfalls in den 1960er Jahren entdeckt wurden. Es nährte den Verdacht, daß die Astronomie in der Zukunft noch auf viele Exoten treffen sollte.
Unter Pulsaren versteht man Objekte im All, die lediglich einen Durchmesser von 20 Kilometern aufweisen, trotzdem aber so viel Masse wie die Sonne in sich versammeln. Mehr als 2000 Pulsare haben die Astronomen inzwischen gefunden, von denen einige zwanzigmal pro Sekunde rotieren und dabei riesige Mengen an Energie in den Weltraum schleudern. Pulsare verfügen über extrem starke Magnetfelder, was ebenso wenig verstanden ist wie die Mengen an Gammastrahlen, die sie aussenden. Der Ausdruck «Gammastrahlen» meint Licht mit enorm hoher Frequenz und also mit ungeheurer Energie. Das führt zu sogenannten Gammablitzen, die erstmals 1967 entdeckt wurden, aber anders als die systematisch aufgespürten Pulsare und Quasare eher zufällig und unabsichtlich.
Wenn jemand etwas findet, das er oder sie gar nicht gesucht hat, spricht man von Serendipität, was sich vom englischen «serendipity» ableitet und einfach als glücklicher Zufall zu verstehen ist. Das Wort geht auf eine Erzählung des britischen Autors Horace Walpole zurück, der im späten 18. Jahrhundert in Anlehnung an ein persisches Märchen die Erzählung Three Princes of Serendip verfaßt hat. Die drei Prinzen finden andauernd Unerwartetes. Serendip ist der altpersische Name für Sri Lanka (früher Ceylon). Im 20.Jahrhundert waren die Finder keine fröhlichen Prinzen, sondern Überwachungssatelliten, deren politisch motivierte Aufgabe eigentlich darin bestand, Atombombentests ausfindig zu machen. Das taten sie auch, aber daneben registrierten sie erst einen und dann mehrere Gammablitze. Was vom Namen her harmlos klingt, wird dadurch aufregend, daß ein solches Ereignis in zehn Sekunden (1) mehr Energie freisetzt als die Sonne in Milliarden (!) von Jahren. Gammablitze entspringen nicht in der Milchstraße. Sie kommen von anderen Galaxien ausgehend zur Erde, ohne daß jemand genau zu sagen wüßte, was sie auslöst, wie viele von ihnen zu erwarten sind oder was sie zur Dynamik des Kosmos beitragen.
Besser Bescheid wissen die Astronomen über Quasare, die so heißen, Weil es sich um «quasistellare Objekte» handelt. Wie die deutsche Bezeichnung «sternenartige Radioquelle» erkennen läßt, sind es vor allem Signale im Bereich von Radiowellen, die Quasare aussenden - und von Radioastronomen auch tagsüber empfangen werden können. Erstaunlicherweise scheinen sie punktförmig zu sein und den aktiven Kern einer Galaxie auszumachen. Genauer betrachtet, kommt die Strahlung eines Quasars aus der leuchtenden Materie, die sich als rotierende Scheibe um ein Schwarzes Loch gelegt hat - vielleicht dem makabersten unter den seltsamen Erscheinungen, die seit dem Aufkommen der Radioastronomie im Universum gefunden wurden.
Schwarze Löcher heißen so, weil sie kein Licht aussenden, dafür aber alles Verschlucken. Das faszinierende Wort ist in den 1960er Jahren aufgekommen. Seine Verbreitung beginnt mit dem Physiker John Archibald Wheeler, der es leid War, in einem Vortrag dauernd von «gravitationsbedingt instabiler stellarer Materie» zu reden, und deshalb einfach «schwarzes Loch» sagte. Das wurde weltweit nicht nur akzeptiert, sondern geradezu bejubelt.
Wheeler und seine Kollegen stellten sich die Frage: Was passiert, wenn so viel Materie auf einem Haufen zusammenkommt, daß sie unter ihrer eigenen Schwerkraft einbricht, wenn sie also gravitationsbedingt instabil ist? Es macht Mühe, sich eine solche Situation auszumalen, ausrechnen aber läßt sie sich allemal. Dabei stellt sich heraus: Findet sich genügend Masse in einem Riesenklumpen, schrumpft nicht nur das ganze Gebilde, sondern zuletzt werden sogar die Atome mitgerissen, aus denen seine Materie besteht. Die Elektronen stürzen in die Kerne, wandeln sich und alles andere mit den Protonen in Neutronen um, und fertig ist ein Neutronenstern, wie man ihn am Himmel nachweisen kann. Ein Teelöffel von der Materie eines Neutronensterns wiegt nicht 100 oder 100 000 Tonnen - er wiegt eine Milliarde Tonnen. Das wird hier vor allem mitgeteilt, weil man sich von einem solchen Endzustand der Sternenwicklung bei aller Einfachheit des Prozesses keine Vorstellung machen kann, vor allem nicht von der Geometrie des Raumes, die von dem Neutronenstern extrem gebogen und verzerrt wird.
Die Wirkung der Gravitation geht noch weiter. Schließlich kann sie nicht mehr durch eine sich von innen dagegenstemmende Energie kompensiert werden, und so entsteht, was Fachleute und Laien gleichermaßen fasziniert, besagtes Schwarzes Loch oder ein «black hole», wie Wheeler es in seiner Sprache genannt hat. Einige Astronomen blieben zunächst skeptisch, und es verging eine Weile, bis man beim Absuchen des Himmels sicher sein konnte, derart unheimlich dichte Ansammlungen von Materie nachweisen zu können und selbst in der Mitte der Milchstraße zu finden. Heute wissen die Kosmologen nicht nur, daß es Schwarze Löcher gibt, sondern sie liegen sogar in unterschiedlichen Größen vor, die von etwa ıo Sonnenmassen aufwärts bis zu mehreren Milliarden Sonnenmassen reichen. Das darf man wahrlich als gigantisch bezeichnen und sollte es sich gar nicht erst vorzustellen versuchen.
Allerdings: Wer Angst hat, in ein Schwarzes Loch zu fallen, der- oder diejenige kann beruhigt werden. Zwar nimmt seine Anziehungskraft zu, wenn man ihm näher kommt, aber zugleich vergeht die Zeit langsamer, wie es Einsteins Theorien vorhersagen. Das Verlangsamen der Zeit kompensiert die Zunahme der Beschleunigung in Richtung Schwarzes Loch nicht nur, es überkompensiert sie sogar, und zuletzt gibt es sogar einen Ort, an dem sie zum Stillstand kommt. Man spricht von dem Ereignishorizont eines Schwarzen Loches, den kein Mensch überschreiten kann. Wer es dennoch in Gedanken unternimmt, dem oder der muß klar sein, daß dahinter enorm starke Gravitationskräfte auf ihn oder sie einwirken. Sie unterscheiden sich schon im Meterbereich so gravierend, daß die Füße eines Menschen viel stärker in das Loch hineingezogen werden als der Kopf, und das bedeutet, daß man sich jenseits des Ereignishorizonts rasch als Spaghettinudel wiederfindet, an der so lange gezogen wird, bis sie reißt.
© Ernst Peter Fischer
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
© 2023 C.H. Beck
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
|