Ostwestfälische Dialoge
Bei den Ostwestfalen klafft ein tiefer Abgrund zwischen Aktion und Reaktion. Er sagt nie gerne was, aber es hört ihm auch keiner gerne zu. Manchmal muß er seine Meinung über das Wetter kundtun, denn wenn diese Region etwas hat, dann ist es Wetter. Nur muß er damit leben, daß er nie gerne etwas sagt, aber das auch keiner gerne hören will. Erkennt er an einem schwülen Tag „Mensch, ist es heute schwül“, faßt er sich kurz und verständlich, nur interessiert das niemanden. Alle hören es nicht gerne. Es ist dafür ja auch zu schwül. Praktisch ist nur, daß man ihm später nochmal erzählen kann wie schwül es ist, weil er dabei nicht zugehört hat. So kann man beide Gesprächsgruppen unter einen Hut bringen. Der eine sagt nicht gerne was und der andere hört nicht gerne zu. Deswegen geht man hier ungern beichten. Man sagt ja nicht gerne was und der andere hört nicht gerne zu. Außerdem sündigt hier niemand, weil man das sagen müßte, wenn man beichten will. Natürlich läßt ein Ostwestfale einen anderen Ostwestfalen nie im Regen stehn. Er hilft so gut er kann und wird er gefordert, rundet er jede Wetterbeschreibung souverän und versiert ab. Sagt der eine Ostwestfale „Mensch, ist es heute schwül“ sagt der andere einfach „Hauptsache.“ Da geht es nicht um Sinn oder Weisheit, da geht es ums Abrunden und jemanden nicht im Regen stehen lassen. Beliebt ist auch die Redewendung „Jetzt, wo du es sagst“. Sagt also der eine „Mensch, ist es heute schwül“ kontert der andere „Jetzt, wo du es sagst.“ Das ist eine ehrliche Erkenntnis und reicht den Gesprächsteilnehmern aus, um sich ins Herz zu schließen. Am Schluß geht man auseinander mit den Worten: „Es tat gut, sich mal wieder richtig ausgesprochen zu haben“ und was sagt der andere „Jetzt, wo du es sagst“.
Erwin Grosche
Erwin Grosches Web-Seite: www.erwingrosche.de
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