Lachen und Lächeln
In einer der Geschichten von Asterix und Obelix taucht ein kleiner spanischer Junge auf, der seinen Willen dadurch durchsetzt, daß er die Luft anhält und seinen Eltern damit droht, dies so lange durchzuhalten, bis es tot umfällt. Die Frage lautet, ob so etwas möglich ist, und die Antwort fällt eindeutig aus. Sie heißt als Spaßbremse «Nein!». Wie jeder beim Tauchen bemerkt hat, fällt Menschen das Luftanhalten schwer, und die meisten schaffen nicht viel mehr als eine Minute. Die Erklärung dafür lautet, daß der Verzicht auf das Luftholen zum Sauerstoffmangel führt und Kohlendioxidüberschuß im Blut zur Folge hat. Dieser aber macht es einem Menschen unmöglich, den inneren Rhythmus des Atmens, der ihn ohne bewußtes Zutun am Leben hält, weiter bewußt zu unterbrechen, und so zwingt der Körper die Luft anhaltende Person nach kurzer Zeit unwillkürlich dazu, weiter zu atmen. Er oder sie muß sie irgendwann Luft einziehen und wieder ausstoßen, um mit diesem Atmen am Leben zu bleiben, das man als Gnade empfinden kann.
Wie das Lächeln und das Lachen entstanden sind, erklären Primatenforscher mit der Hypothese des sogenannten Zahnentblößungsdisplays, wie es die Fachwelt mit einem komplizierten Wort nennt. Man findet das dazugehörige Verhalten bei den meisten Säugetieren und sieht darin den evolutionsgeschichtlich ältesten Gesichtsausdruck überhaupt. Tiere setzen diese Mimik ein, wenn sie sich bedroht fühlen. Das Zahnentblößungsdisplay gehört zu den defensiven Gesichtsausdrücken und kommt zur Geltung, wenn ein Tier fliehen möchte, aus verschiedenen Gründen aber daran gehindert wird. Wenn Menschen unangenehmen Situationen nicht entkommen können, zeigen sie ebenfalls ihre Zähne, indem sie aus Verlegenheit lächeln, was zu der Ausgangsproblematik zurückführt. Wie kann ein offensives Zeigen der Zähne, also ein Präsentieren von Freßwerkzeugen, zu einem Signal der Defensive werden? Die Antwort der Evolutionsbiologie fällt gewieft dialektisch aus:
Das Tier zeigt seine Waffen, aber indem es sie zeigt, gibt es auch zu verstehen, daß es sie nicht einsetzen will. Das Zähnezeigen wird zu einem Signal der Unterwerfung und Nichtfeindseligkeit; im Laufe der Geschichte wird es als beruhigendes und schließlich sogar freundliches Zeichen verstanden. Das menschliche Lächeln steht am Ende dieser Entwicklung, an deren Anfang noch etwas anderes geschaffen werden mußte, nämlich die anatomische Voraussetzung der Fähigkeit zum Lächeln. Sie besteht in der Durchgängigkeit der mit dem Oberkiefer verbundenen Oberlippe, mit der anthropoide Primaten und Menschen im Gegensatz zu Halbaffen, Hunden und Katzen ausgestattet sind. Nur mit solch einer Lippe gelingt es, ein Gesicht mit einem besonderen Ausdruck zu versehen. Nur mit einer haplorhinen Lippe - so der Fachausdruck - kann man lächeln, schmollen, die Zähne zeigen und zuletzt sogar lachen.
Solch ein Spektrum von Ausdrucksweisen hilft nur dann, wenn ein Gegenüber die produzierten Gesichtsausdrücke auch korrekt wahrnehmen und deuten kann. Es bedeutet, daß Lächeln und Lachen über einen sozialen Charakter verfügen. Das legt nicht nur die evolutionäre Geschichte nahe, das gehört inzwischen zum Standardwissen der Lachforscher, die es tatsächlich gibt und die sich wissenschaftlich als Gelotologen bezeichnen. Ihnen zufolge können Menschen seit sieben Millionen Jahren lachen. Aber erst seit zwei Millionen Jahren sind sie in der Lage, ihre Gesichtsmuskeln so zu steuern, daß sie ein lächelndes oder lachendes Gesicht gezielt einsetzen können. Tatsächlich lachen Menschen ja nicht nur, wenn sie etwas lustig finden, sondern eher dann, wenn sie soziale Bindungen aufbauen oder festigen wollen, und das gilt vom Anfang des Lebens an. Wenn Babys oder Kleinkinder lachen, suchen sie die Zuwendung des Sozialpartners, wie es die Wissenschaft trocken nennt. Wer lächelt, zeigt Friedfertigkeit und seine Bereitschaft an, mit anderen in Kontakt zu treten. Die Fähigkeit zum Lächeln wird Menschen in die Wiege gelegt; die dazugehörigen Muskelbewegungen - das typische Zusammenziehen der äußeren Augenwinkel zum Beispiel- sind schon bald nach der Geburt zu beobachten, und das, obwohl es in dem Alter von weniger als einem Monat noch nicht viel zu lachen gibt, Witze noch nicht verstanden werden und von Humor ebenso wenig die Rede sein kann. In den ersten fünf Wochen ihres Lebens reagieren Neugeborene mit Lächeln auf Stimmen - sie bevorzugen hohe Stimmen -, bevor sie ihre Aufmerksamkeit Gesichtern zuwenden. Im Experiment werden sogar Gesichtsattrappen angelächelt, aber nur ein paar Monate lang. Dann lernen sie, Menschen zu unterscheiden, und sie setzen das Lächeln nur noch für die Eltern ein - wohl um sie auf diese Weise für die Mühe zu entlohnen, die sie mit ihnen haben. Fremde müssen sich ziemlich anstrengen, um angelächelt zu werden.
Der Übergang vom Lächeln zum Lachen geht stufenlos vor sich. Sprachlich stellt das Lächeln - im Deutschen - das Diminutiv von Lachen dar. Daraus folgt nicht, daß das leichte Hochziehen der Mundwinkel zum Lächeln oder das weite Öffnen des Mundes mit prustenden Tönen beim Lachen Abstufungen ein und desselben Verhaltens darstellen. Die meisten Gelotologen meinen, daß es sich beim Lächeln und Lachen um zwei verschiedene mimische Displays handelt, die beim Schimpansen deutlich voneinander getrennt sind und sich erst im Laufe der Hominisation der Menschenaffen immer mehr angenähert haben.
Die Vorstufe des Lachens erscheint bei höheren Primaten als ein «entspanntes Mundoffen-Display», was als «Spielgesicht» bekannt ist. Der Mund ist geöffnet, und die Bewegungen der Augen und des Körpers gehen gelassen vor sich. In diesem Zustand kann ein stoßartiges Atmen auftreten, das Schimpansen mit Vokalen anreichern können. Man hört ein «ah-ah-ah». Das dient dazu, einem anderen Tier zu signalisieren, daß das Verhalten als Spiel gemeint ist und ein Angriff nicht ernst genommen werden sollte.
Untersuchungen zum Lächeln und Lachen bei Kindern haben erkennen lassen, daß im Kindergarten das Lachen vor allem dann auftritt, wenn die Kinder wild und mit Körperkontakt spielen. Ihre Raufereien werden von Gelächter begleitet, was zu der Hypothese geführt hat, daß die tiefste Wurzel für das Lachen im Hassen zu finden ist. Bei Tieren versteht man unter «Hassen» eine «bei vielen Tierarten anzutreffende gemeinschaftliche Drohung gegen Feinde, die sich bei manchen Affenarten aus Zähneblecken und rhythmischen Drohlauten zusammensetzt».
Es gibt dazu auch andere Ansichten, etwa die, in Vorformen des Lachens eine Mischung aus ängstlichem Geschrei und beruhigendem Erkennen der Eltern zu sehen. Lachen entsteht in dieser Sicht als «autonomes Signal››, das dem Empfänger «entschärfte Gefahr» zu verstehen gibt. Ob Lachen nun als aggressives oder defensives Verhalten entstanden ist, es läßt sich auf Gesichtsausdrücke zurückführen, die im Anschluß an gemeisterte Gefahren zum Ausdruck kamen.
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
© 2023 C.H. Beck
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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