Witze und Lachtränen
Dies führt zu der Frage, warum Menschen überhaupt über Witze lachen. Evolutionsbiologen sehen das Wesen des Witzes darin, daß mit ihm symbolische, unwirkliche Situationen geschaffen werden, in denen Menschen wegen ihrer Ungefährlichkeit andere ungehemmt auslachen können. Die enge Verbindung von Witzen und Lachen hat zu der zwar oft geäußerten, aber unhaltbaren Annahme geführt, daß nur Menschen lachen können. Tatsächlich zeigen Beobachtungen bei Gänsen, daß es bei ihnen eine Art Schnarren gibt, die dem menschlichen Triumphgeschrei nicht unähnlich ist und - bei völlig anderer Gesichtsmimik und Lauterzeugung - eine Vorstufe des Lachens darstellt. Insgesamt merken Ethologen an, daß nicht nur das Triumphgeschnatter von Gänsen, sondern auch die Spielgesichter von sozialen Säugetieren dem menschlichen Lachen analog sind, das trotzdem als rätselhafte Erscheinung bestehen bleibt. Als Faustregel läßt sich sagen, daß in allen Fällen, in denen gelacht oder gelächelt wird, eine Situation vorliegt, in der ein Subjekt seinen oder ihren Autonomieanspruch schubhaft zurücknimmt.
Das geschieht in der Situation des Triumphs, wenn der Gegner besiegt ist und das eigene Ich seinen für den Kampf benötigten Panzer ablegen kann. Umgekehrt erklärt sich so auch das verlegene Lächeln der Unterwerfung, das dem überlegenen Gegner die bedingungslose Kapitulation signalisiert. Vermutlich zeichnet die Menschen also nicht aus, daß sie lachen können, sondern worüber sie sich köstlich amüsieren. Es könnte sein, daß über einen tollpatschig stolpernden Clown deshalb gelacht wird, weil man in dem Augenblick Erleichterung spürt, da er wieder unversehrt aufsteht. Dann kann man sich einfach freuen und dabei vergnügt lachen.
Das Aufatmen, das einsetzt, wenn man merkt, daß alles gut gegangen ist und keine Gefahr droht, wird auch angeführt, wenn man verstehen will, warum Menschen lachen, wenn sie gekitzelt werden - wobei viele sicher die Erfahrung gemacht haben, daß sich die Regung nicht zeigt, wenn sie sich selbst kitzeln. In diesem Fall weiß man, daß einem keine Gefahr droht, was natürlich anders ist, wenn Fremde einen packen und berühren. Menschen fürchten Verletzungen in den sensiblen Regionen, in denen das Kitzeln die besten Effekte erzielt, also an den Fußsohlen und auf den Handflächen. Kinder sind am ganzen Körper kitzlig; ihr Lachen steigert sich, wenn die kitzelnden Eltern sich freuen und selbst lachen. Versucht eine fremde Person, einem Kind auf diese Weise Spaß zu bereiten, reagieren sie eher unsicher, und es kann passieren, daß sie ein böses Gesicht machen.
Viele Menschen kennen Witze oder Situationen, in denen ihnen beim Lachen die Tränen kommen. Was ist da los? Und warum gibt es überhaupt Tränen? Eine einfache Antwort spricht von schützenden Tränen, die das Auge als Schutzfilm generiert, um nicht auszutrocknen und mit Nährstoffen versorgt zu sein. Schwieriger ist es, zu sagen, warum Tränen sowohl bei Trauer und Schmerz als auch bei Freude und Jubel fließen. Offenbar kommen einem die Tränen, wenn man emotional erregt ist. Vielleicht sammeln sich Schadstoffe an, die entfernt werden müssen. Vielleicht will ein weinender Mensch aber auch nur seinem oder ihrem Gegenüber zeigen, daß sie oder er unter einer psychischen Anspannung steht. Erleichterung bedeutet der Tränenstrom, wenn man seine Gefühle nicht für sich selbst behält und stattdessen mit anderen teilt, sie anderen Menschen also wörtlich mitteilt.
Die enge Verbindung zwischen Schmerz und Lachen zeigt sich bei dem Witz, der von britischen Forschern als Champion der Komik ausgewählt worden ist. 40.000 Witze hat man den Probanden in einer umfangreichen Witzstudie vorgelegt, und die meisten Tränen flossen beim Lachen über die folgende Geschichte, die ich persönlich nicht so witzig finde: „Zwei Jäger gehen durch den Wald, als einer von ihnen plötzlich zusammenbricht. Er scheint nicht mehr zu atmen und zeigt glasige Augen. Der andere Jäger greift zu seinem Mobiltelefon und betätigt den Notruf. Er stammelt: ˈMein Freund ist umgefallen und tot. Was kann ich tun?ˈ Er wird gebeten: ˈVersichern Sie sich erst einmal, ob Ihr Freund wirklich tot ist.ˈ Danach Stille. Dann hört man in der Notzentrale einen Schuß. Nun meldet sich der Jäger wieder: ˈDas ist geklärt. Was jetzt?ˈ“
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
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Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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