Absurdes Theater

Strindbergs „Fräulein Julie“ im Schaumbad

von Frank Becker

Köchin Kristin (Silvia Munzón López) - Foto © Anna Schwartz

Absurdes Theater
 
Strindbergs „Fräulein Julie“ im Schaumbad
 

„Fräulein Julie“ von August Strindberg - Deutsch von Angelika Gundlach
Eine Koproduktion der Wuppertaler Bühnen mit dem Théâtre National du Luxembourg
 
„Wenn die Reichen sich gemein machen wollen
werden sie gemein.“
(Kristin)

Schweden, Ende des 19. Jahrhunderts – eine Mittsommernacht, sinnverwirrend, knisternd. Die Bediensteten feiern auf der Tenne. Fräulein Julie, 25 Jahre alt (überzogen und weniger verführerisch als nervtötend: Nora Koenig), Tochter des Gutsherren, mischt sich unter die Tanzenden. Launisch ist sie, lasziv und lüstern, doch ganz offenbar nervös und unsicher, wie ihre ständig wippenden Füße signalisieren. Wegen ihrer Herrschsucht vom Verlobten verlassen, sucht sich zur Kompensation während der Abwesenheit des gräflichen Vaters beim Tanzfest des Gesindes in der schwedischen Mittsommernacht ein neues Objekt: den Diener Jean, 30 (getrieben und unter steter Anspannung: Thomas Braus). Der jedoch erweist sich nicht als willfähriges Opfer ihres triebhaften Spiels mit dem Feuer, sondern er zahlt nach ersten Skrupeln mit härterer Münze zurück. Braus gibt den ambivalenten Charakter zwischen gehorsam und herrisch, arrogant, kleinmütig und zynisch durchweg überzeugend und von einer gewissen abstoßenden Faszination. Ein Smigel, ein frauenverachtender Parvenü auf Dienstbotenebene, der aus der ländlichen Enge in die große Welt hinaus will und in der außer Kontrolle geratenen Situation Julie als Werkzeug dazu benutzen möchte.
 

v.l. Nora Koenig, Silvia Silvia Munzón López, Thomas Braus,  - Foto © Anna Schwartz

Der Verführerin zunächst moralisch, dann unmoralisch immer ein wenig voraus liefert sich der Domestik mit der gräflichen Dirne ein verbales Gefecht, in dem keiner den anderen schont. Das Sakko des Lakaien trug Thomas Braus in seiner Darstellung des Kammerdieners Jean bereits im Frühjahr vor fast genau 22 Jahren, als er mit Sascha Icks um die Macht in einer gesellschaftlich unmöglichen Liaison rang. Es paßt ihm noch immer, genauso wie die Rolle, die ihm in der lärmenden Inszenierung von Stefan Maurer Gelegenheit gibt, sich in allen Facetten der Schauspielkunst auszutoben.
Nora Koenig und Thomas Braus liefern sich spitzfindige Wortduelle bis hin zum Rollentausch. Schließlich verlieren sie jegliche Distanz und folgen im Rausch der Sinne nur noch Libido, Angst und Verzweiflung. Jean kann in erotischer Überlegenheit Julie zur Flucht in ein gemeinsames Traumland überreden, was sie dazu bringt den abwesenden Vater zu bestehlen. Es ist ein Spiel von Macht und Ohnmacht, von Euphorie und Sturz in die Verzweiflung
 
Während sich Diener und Herrin brünstig lauernd umkreisen, bleibt die dritte Figur des Spiels in Maurers Inszenierung keineswegs am Rande, sie zeigt in ihrer moralischen Haltung große Stärke. Die Köchin Kristin, 35 (berührend: Silvia Munzón López), eine reife Frau mit tiefem, standesbewußtem Charakter, mit Jean per Wort verlobt, ringt um dessen Liebe, unterliegt jedoch der sozialen Macht Julies und der erotischen Gier Jeans, die letztlich mehr dem Geld als der provokanten Geilheit Julies gilt. Strindbergs Figur der Kristin wird von Silvia Munzón López in ernsthafter Liebe und konsequenter Haltung glänzend verkörpert. Mehr noch: Ihre unerhörte Wandelbarkeit in Mimik, Stimme und Körperhaltung macht sie zur interessantesten Figur dieses 75-minütigen Kammerspiels. Maurer hat ihr einen brillanten Spiegel-Dialog  angemessen, der ihre großen Fähigkeiten ebenso ins Licht rückt wie ihr mimisch faszinierendes Zurückweichen beim Auftreten Julies. Eine reife, herausragende Leistung.
 

 
Thomas Braus, Nora Koenig - Foto © Anna Schwartz

Wir vermissen allerdings auf der offenen, karg und nicht sonderlich phantasievoll ausgestatteten Bühne die Intimität der Küchen-Situation, wir vermissen das offene Ende, das den auf Jeans Drängen folgerichtigen Suizid Julies andeutet und bemängeln die burleske Maskerade nach der Liebesnacht. Noch mehr bemängeln wir das wirklich alberne Schaumbad am Ende, das nicht einmal neu ist, denn 2001 hat Alexander Kubelka in Gerhard Fresachers Bühnenbild der Düsseldorfer Inszenierung Jean und Julie auf der Suche nach dem letzten Geheimnis in der Bühnenmitte in ein Wasserbecken eintauchen lassen. Da allerdings hatte es Sinn.

Julie: Nora Koenig – Jean: Thomas Braus – Kristin: Silvia Munzón López
Inszenierung: Stefan Maurer - Bühne & Kostüme: Luis Graninger – Dramaturgie: Florian Hirsch – Regieassistenz: Johanna Landsberg / Laura Hutta - Fotos © Anna Schwartz
 
Informationen und Termine: https://www.wuppertaler-buehnen.de/